Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
ging. Und wir hatten eine eigene Schabbatmagd, eine Christin, die am Feiertag alle Arbeiten übernahm, die wir Juden nicht tun durften. Sonst aber hatten wir keine Hausbediensteten, sie wären ja irgendwann unweigerlich Zeugen dessen geworden, was sich zwischen Chajim und mir abspielte.
Nach einem halben Jahr sprach mich Rechla im Hekdesch an. »Dir geht es schlecht«, sagte sie in ihrer einfachen, geradlinigen Art. »Seit du verheiratet bist, hast du alle Freude verloren. Also, was tut dein Mann dir an?«
Ich schüttelte den Kopf, aber ich konnte nicht verhindern, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Die gute Rechla zog mich tröstend an sich. Ich zuckte vor Schmerz zusammen. Da drehte sie mich wortlos um, schob vorsichtig mein Hemd hoch und sah meinen Rücken.
»Du musst zum Rabbi gehen.« Rechla war vor Zorn ganz weiß im Gesicht geworden. »So was darf er nicht tun. Die Thora und der Talmud verbieten es.«
»Ich weiß«, schluchzte ich. Aber ich fürchtete mich doch so sehr vor Chajim. »Rechla, versprich mir, es niemandem zu sagen. Ich weiß nicht, was er sonst mit mir macht.«
Sie sah mich mitleidig an. »Wie du willst, Kindchen. Aber du musst etwas unternehmen, hörst du? So kann das mit euch nicht weitergehen.«
Ich nickte. Sie hatte ja recht.
In der nächsten Nacht, als er wieder mit seinen Demütigungen und Quälereien begann, wehrte ich mich zum ersten Mal. »Ich will das nicht«, schrie ich ihn in meiner Verzweiflung an. »Ich kann nicht mehr, Chajim. Ich sag es Rabbi Meir. Was du tust, ist gegen alle Mizwot.« Dann wartete ich auf den Schmerz.
Er sah mich nur an. Er schlug mich nicht. Er legte beide Hände um meinen Hals, drückte ein bisschen zu, bis ich kaum noch Luft bekam, und sagte dann ganz leise und freundlich: »Wenn du zum Rabbi gehst, bring ich dich um.« Ein Lächeln lag dabei auf seinen Lippen, und ich wusste, er würde es tun. Schließlich, als ich glaubte, er würde mich jetzt schon erwürgen, lockerte er seinen Griff und flüsterte: »Und jetzt knie dich hin und bitte mich um Verzeihung.« Ich tat es. Und alles andere, was er von mir verlangte.
Danach hörte ich auf, zu essen. Ich konnte in seiner Anwesenheit einfach nichts mehr hinunterbringen. Ich saß am Tisch und sah zu, wie er in sich hineinstopfte, was ich gekocht hatte. Mein Hals war wie zugeschnürt. Schon vorher war ich schlank gewesen, aber nun magerte ich zum Gerippe ab. Meine Brüste hingen schlaff, meine Beckenknochen und Schlüsselbeine standen hervor. Heute glaube ich, dass ich so werden wollte, damit er mich nicht mehr schön fand. Damit er mich in Ruhe ließ, weil ihn mein Anblick nicht mehr erregte. Aber es nützte nichts. Es ging ihm gar nicht um körperliche Lust. Chajim wollte eine Frau nicht quälen, um sich zu befriedigen. Er wollte einfach nur einen Menschen erniedrigen, ihn seine Macht spüren lassen, seinen Willen brechen.
Nach einem Jahr war ich am Ende. Hatte ich mir zu Anfang gesagt, ich bleibe für Jochi, hatte ich später aus Angst um mein Leben ausgehalten, so war mir ab einem gewissen Zeitpunkt alles egal. Sollte er mich doch umbringen – ich war ohnehin schon wie tot. Also ging ich zum Rabbi und sagte, ich wolle eine Scheidung.
»O Adonai«, meinte er erschüttert und tätschelte mir die Schulter. »Das ist eine schlimme Sache. Ein Mann, ja, der kann eine Ehe beenden, das ist schon öfter vorgekommen. Aber eine Frau? Davon habe ich noch nie gehört.« Er überlegte lange; seine Finger glitten nachdenklich über den langen weißen Bart. »Natürlich kann ich mit Chajim reden. Eine Ehe muss für beide Seiten glücklich sein. Aber ich kann ihn nicht zwingen, dich gehen zu lassen.«
»Warum nicht?«
»Dafür gibt es kein Gesetz, Sara. Und so wie ich Chajim kenne, wird er nicht zulassen, dass du ihn auf diese Weise vor aller Welt bloßstellst. Er wird dir kein Get geben, keine Erlaubnis zur Scheidung.«
»Und wenn ich ihn trotzdem verlasse, wenn ich zurück zu meinen Eltern gehe?«
»Du wärst eine Aguna, eine ›angekettete Frau‹. Du könntest nie wieder heiraten, denn du bist ja verheiratet.« Er schüttelte den Kopf. »Und ich kann mir nicht vorstellen, dass er das zulassen würde. Er würde dich zurückholen, und niemand könnte es ihm verwehren.«
Ich erzählte dem Rabbi nicht, dass Chajim mich nicht zurückholen, sondern gleich umbringen würde. Ich bat ihn, alles zu vergessen und zu niemandem ein Wort zu sagen. Er versprach es.
Danach verbrachte ich noch fünf Wochen in
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