Die silberne Göttin
Schuldigen nicht kennt. Hör mir zu, Iantha. Als meine Familie starb, als ich mein schönes, unschuldiges kleines Mädchen verlor, fühlte ich genau das, was du hier beschreibst. Zuerst weinte ich. Als ich nicht mehr weinen konnte, begann ich zu brüten. Ich trank mir jede Nacht einen Vollrausch an, um die Schmerzen nicht mehr fühlen zu müssen. Als mir klar wurde, dass ich mir diesen Luxus nicht länger leisten konnte, begann ich schließlich zu wüten."
Er löste sich von ihr und lehnte sich zurück, sein Blick verlor sich im Nirgendwo. "Doch gegen wen sollte ich wüten? Gegen das Fieber? Gegen Gott? Wozu hätte das gut sein sollen? So fing ich also Streit an, damit ich Grund hatte, jemanden anzubrüllen. Ich ging in die Docks, zu dem Gesindel, und zettelte Schlägereien an, damit ich jemanden verletzen konnte. Ich ritt durch den Dschungel und tötete jedes Tier, das mir über den Weg lief."
Iantha schüttelte verwundert den Kopf. "So kann ich mir dich gar nicht vorstellen."
Er wandte ihr wieder den Blick zu. "Ich weiß. Es fällt mir selbst schwer, mich darin wiederzuerkennen. Doch so war ich damals. Und schließlich kehrte ich wieder zu meinem Selbst zurück. Es gibt einen natürlichen Verlauf des Kummers, und du hast dir nicht erlaubt, ihm nachzugeben." Er deutete auf das Glas in ihrer Hand. "Also genieße jetzt deinen Brandy, und was dann als Nächstes passieren wird, werden wir gemeinsam überstehen."
Iantha blickte ihn über den Rand ihres Glases an und nippte vorsichtig. Sie musste husten, als die Flüssigkeit ihr in der Kehle brannte. Rob wandte sich dem Feuer zu und starrte in die Flammen. Von Zeit zu Zeit trank er aus seinem Glas. Iantha lehnte sich entspannt zurück und wagte einen weiteren Schluck. Dieses Mal brannte es schon nicht mehr so stark.
Als Rob sein Glas geleert hatte, holte er die Karaffe und schenkte nicht nur sich, sondern auch Iantha nach. Dann setzte er sich so, dass er sie beobachten konnte. Langsam wurde der Brandy in ihrem Glas weniger. Irgendwann, Iantha konnte sich später nicht mehr daran erinnern, wann genau es war, rannen ihr die Tränen, die sie bis dahin so unbarmherzig unterdrückt hatte, über das Gesicht. Sie versuchte vergeblich, sie zu verbergen, und schließlich fehlte ihr die Kraft, dagegen anzukämpfen.
Rob stellte sein Glas beiseite. "Warum weinst du?"
"Ich weine gar nicht", schniefte Iantha und suchte nach ihrem Taschentuch.
Er lächelte über die offensichtliche Lüge. "Natürlich nicht. Woran denkst du denn?"
"Dass … dass …" Wieder ein lautes Schniefen. "Ich wünschte nur, wir könnten tun, was wir jetzt eigentlich tun sollten. Dass du tun könntest, was Bräutigame in ihrer Hochzeitsnacht tun. Du sagtest, dass das Leben das größte Abenteuer sei, und ich werde niemals fähig sein …" Der Rest ging in wildem Schluchzen unter.
Ihr Bräutigam nahm sie in die Arme, zog sie auf seinen Schoß und drückte sie fest an seine breite Brust. "Doch, meine schöne Braut. Wir werden dieses Abenteuer schon noch bestehen, wenn es an der Zeit ist."
Iantha wurde jetzt von Schluchzen geschüttelt, aber sie brachte es fertig hervorzustoßen: "Es tut mir so Leid."
Er zog sie an sich und begann, sie sanft hin und her zu wiegen. "Es tut mir auch Leid. Es macht mich traurig, dass du all das durchmachen musst. Aber es wird vorübergehen, wenn du es zulässt, Iantha. Ich weiß es. Lass es zu, und eines Tages werden wir Höhen erkunden, von denen du nie etwas geahnt hast."
Seine Worte machten nicht viel Sinn, aber Iantha nickte, klammerte sich an den Kragen seines Morgenrocks, und der weiche Stoff dämpfte ihr Schluchzen. Schließlich ruhte sie erschöpft an seiner Brust, halb schlafend, bis nach und nach das Feuer erlosch. Schließlich hob Rob sie hoch und trug sie in ihr eigenes Zimmer, wo er sie auf ihr Bett legte. "Kannst du dich allein auskleiden?"
Sie nickte.
"Dann will ich dir jetzt Gute Nacht sagen." Er küsste sie auf die Stirn und ging durch die Tür, die direkt in sein eigenes Schlafzimmer führte.
Iantha starrte auf die geschlossene Tür, bis die Kälte begann, sich bemerkbar zu machen. Sie zog die Kleider aus und schlüpfte unter die Decke, die sie bis zum Kinn zog. Da lag sie nun, fühlte sich seltsam getrennt von ihrem Körper und dachte über den Mann nach, den sie heute geheiratet hatte.
Die Hochzeitsnacht war nicht so, wie Rob sie sich erträumt hätte, und trotzdem fühlte er sich gut. Er hatte Iantha diesmal länger in den Armen gehalten als je
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