Die silberne Göttin
bürstete. Morgen würde sie Lord Duncan heiraten. Nachdem die Straßen wieder schneefrei waren und die ganze Gesellschaft erleichtert abgereist war, hatte es nur eine Woche gedauert, bis die Sondererlaubnis aus London eintraf. Sie hatte noch nicht einmal Gelegenheit gehabt, nach Hause zu fahren. Papa und Rob fürchteten, sie sei in einer Kutsche nicht sicher genug.
Wenn sie diesem Abenteuer nur genauso vertrauensvoll entgegensehen könnte, wie Rob es anscheinend tat! Es stimmte schon, je näher sie ihm war, desto mehr gefiel ihr diese Nähe. Manchmal hatte sie begonnen, sich beschützt und sicher zu fühlen, wenn er den Arm um sie legte. Doch dann empfand sie wieder das Bedürfnis, sich zurückzuziehen und Abstand zu ihm zu halten. Und sie wusste, dass seine höflichen und liebevollen Berührungen nur ein schwacher Abglanz dessen waren, was er sich ersehnte.
Allein der Gedanke daran erschütterte sie bis ins Innerste, ließ ihre Hände feucht werden und nahm ihr den Atem. Selbst die warmen Gefühle, die seine Nähe manchmal in ihr auslösten, empfand sie als Bedrohung. Sie riefen in ihr den Wunsch nach mehr wach. Nach mehr, als sie ertragen könnte.
Ein lautes Schniefen riss sie aus diesen bedrückenden Gedanken. Sie wandte sich um und sah, dass ihrer Kammerzofe dicke Tränen über die Wangen liefen. "Aber Molly, was ist denn los?"
Molly schniefte wieder. "Nichts, Mylady."
"Offensichtlich doch. Warum weinst du?"
Zu dem Schniefen gesellte sich ein kleiner Schluchzer. "Es … es ist nur, weil Sie und ich hier im Schloss bleiben und nicht in Hill House sind."
"Und du hast Heimweh?"
Molly nickte und weinte noch lauter. "Und Daniel wird mit Lord Rosley dorthin zurückkehren. Seine alte Mutter lebt in der Nähe von Hill House, und er muss sich um sie kümmern."
Ein wildes Schluchzen brach sich jetzt Bahn, und Iantha fing langsam an zu verstehen. "Ach so, ihr beiden seid zusammen?"
"Ja, Madam." Die Zofe nickte und fügte dann hastig hinzu: "Aber nicht während der Arbeit."
Ein kleines Lächeln umspielte Ianthas Lippen. "Nein. Natürlich nicht." Sie beneidete Molly. Frei und glücklich verliebt zu sein, ohne den Geliebten zu fürchten … "Hat Daniel mit dir über … über die Zukunft gesprochen?"
"Oh ja, Madam. Er will, dass wir heiraten, aber er muss noch sparen. Und das wird noch so lange dauern!" fügte sie jammernd hinzu.
Wie grausam das Leben doch ist, dachte Iantha. Sie stand an der Schwelle einer Ehe, vor der sie sich fürchtete und die sie sich gleichzeitig wünschte, und diese Ehe würde Molly von ihrem Geliebten trennen. Daniel war ein anständiger junger Mann. Molly könnte es schlimmer treffen. "Weine nicht, Molly. Ich werde dich vermissen, aber ich kann eine andere Zofe einstellen. Lass mich mit meinem Vater sprechen. Ich bin sicher, er wird für dich und Daniel eine Lösung finden, wenn du nur so lange bei mir bleibst, bis ich jemand anderen engagiert habe."
"Oh Miss Iantha. Sie zu verlassen wird mir genauso schwer fallen, wie mich von Daniel zu trennen." Molly suchte schniefend nach ihrem Taschentuch.
"Danke Molly. Aber Daniel ist deine Zukunft, denke ich. Du musst nach Hill House zurückkehren."
"Ich werde Sie nie vergessen, Miss Iantha."
"Ich dich auch nicht, Molly."
Wahrscheinlich zum tausendsten Mal fragte Rob sein Spiegelbild, ob es richtig war, was er tat. Und wie immer war ihm sein Spiegelbild keine große Hilfe. Glaubte er etwa aus reiner Überheblichkeit, er könnte den Schlüssel zu dem Gefängnis finden, in dem Iantha ihre Gefühle eingesperrt hatte? Vernebelte sein Begehren vielleicht sein Urteilsvermögen? Oder erlag er der Versuchung, den Helden zu spielen?
Wieder einmal stieg ungewollt die Erinnerung an Shaktis warmen Körper in ihm auf. Vielleicht sollte er keine andere heiraten, solange er noch voller Verlangen an sie dachte. Doch um die Wahrheit zu sagen, nie hatte sie seinen Geist so beschäftigt, wie es seine jetzige Braut tat. Shakti hatte ihn immer willkommen geheißen, war immer freundlich, immer aufmerksam gewesen, doch sie hatte überhaupt keine geistigen Ansprüche gehabt. Sie hatte den Tag damit verbracht, mit Laki zu spielen, oder gar nichts getan.
Anscheinend hatte ihm das damals genügt.
Bis zu dem Tag, an dem seine zukünftige Braut unter sein Dach kam, hatte er nicht gewusst, wie wichtig eine Gefährtin sein kann, welche die Interessen mit einem teilt.
Und doch fühlte er sich leer, weil sie nicht auf seine körperlichen Bedürfnisse einging.
Rob
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