Die silberne Maske
einfallende Licht zwar weiterhin an den Kanten der Edelsteine gebrochen, doch es konnte nicht wieder hinaus. So erhellten sie sich immer mehr, und sie beleuchteten Dar Anuin noch viele Stunden, nachdem die Fackel abgebrannt war.
Vor dem Lichtermeer sank ein Schatten herunter, der rasch nach allen Seiten auseinanderdriftete und verschwand. Es war die Stunde der Eulen. Bei Anbruch der Nacht wurden sie freigelassen, um draußen in der Ebene zu jagen.
Ruan dachte an die Palastschnepfen, wie Maletorrex die Dienerinnen der Gesandten bezeichnete. Zofe, Köchin, Zimmermädchen ... jede, die unmittelbar mit der Herrin zu tun gehabt hatte, wusste aus erster Hand, dass sie nicht mehr da war. Er hatte sich deshalb gestern persönlich um sie gekümmert. Wie er die Frauen umschmeichelt hatte - er, der attraktivste Uniformträger der Stadt. Wie er ihnen vorgelogen hatte, die Gesandte hielte sich noch in den Katakomben des Kariëm versteckt. Und wenn sie ihn nur begleiten würden, denn nur sie könnten ihre Herrin zur Rückkehr bewegen. Niemand sonst wäre der Frau mit dem Blauen Mal so wichtig wie ihre klugen, schönen, treuen Dienerinnen.
Selbst die grauhaarige Zofe Nelyn, ein klapperdürres Gestell, hatte an Ruans Lippen gehangen, als er sie anbettelte, ihn bei seiner Mission zum Wohle der Stadt zu unterstützen. Mit verschämtem Mädchenkichern war sie ihm in die Katakomben gefolgt, in das Labyrinth uralter, teilweise längst vergessener Stollen und Gänge tief unter dem Palast. Wo niemand hinging, weil man sich hoffnungslos verlaufen konnte, und wo - so wurde gemunkelt - ein paar Unsterbliche herumspukten, die vor Jahrhunderten um ihrer Neugier willen den Weg in die Tiefe gewagt hatten und bis heute nicht wieder ans Tageslicht gelangt waren.
Es war so einfach gewesen, Nelyn und die anderen zur Schlachtbank zu führen. Wie Schäfchen waren sie Ruan gefolgt, widerstandslos, ohne Aufsehen. Selbst als sie den Seitengang erreichten, mit dem alten Brunnenschacht und den wartenden Faitachen, schöpften sie keinen Verdacht. Sie grüßten die scheinbar unbewaffneten Männer sogar und wünschten ihnen viel Glück für ihre Aufgabe.
Als dann die Messer blitzten und eine sterbende Frau nach der anderen in den Brunnenschacht gestoßen wurde, hatte Ruan über den Ausdruck der Angst in ihren Augen gelacht.
Deshalb stand die Bevölkerung auf der Straße. Angst trieb die Elfen um; Angst, dass all das Gemurmel und Palastgeflüster wahr sein könnte und die Trägerin des Blauen Mals sie verlassen hatte.
Also war weitere Schadensbegrenzung angesagt. Morgen bei Tageslicht würde eine zuverlässige Faitachenfrau, entsprechend gekleidet und mit einer nachgebildeten Maske vor dem Gesicht, an den Palastfenstern entlanggehen, um den Eindruck zu erwecken, dass sich die Gesandte noch immer in Kariëm befand.
Maletorrex zeigte sich zufrieden über die Entwicklungen. »Guter Mann«, lobte er. Dann stutzte er.
Ruan hatte es ebenfalls gehört und war beunruhigt: Da war ein kleines, kaum merkliches Scharren am Fenster gewesen.
Maletorrex hielt sich nicht mit Umdrehen und Hinsehen auf. Er hob die Hand, bewegte seine Finger wie einen sich öffnenden Fächer und stieß sie mit der magischen Formel »Sirtach arruk! - Verbrenne die Nacht!« Richtung Scheibe.
Kaltes Feuer schoss auf das Glas zu, glitt hindurch, wölbte sich zu einem Pilz hinter ihr auf - und holte einen verborgenen Lauscher aus der Dunkelheit.
Draußen vor dem Fenster hockte ein großer schwarzer Eulenvogel. Seine unheimlichen Augen starrten wie Furienlichter in den Raum, böse, wissend. Uralt.
»Was ... Ah, verdammt!« Maletorrex atmete auf. »Nur ein dummer Vogel.« Er wedelte wütend mit der Hand, um die Eule zu verscheuchen.
Ruckartig sträubte sie ihr Gefieder. Öffnete den Schnabel, fauchte lautlos und drehte sich um. Mit schaurigem »Schuhu!« strich sie ab.
Maletorrex nickte Ruan zu, der sich unwillkürlich an die Kehle gegriffen hatte. Lächelnd beugte er sich vor und klopfte ihm auf die Schulter. Eine fettige Holunderblüte wechselte den Besitzer. Maletorrex rieb sie unverändert lächelnd in den Stoff der Uniformjacke ein.
»Du warst verunsichert? Das solltest du nicht sein. Ich habe immer alles unter Kontrolle!«
4
Ein gefährlicher
Umweg
V or vierzehn Tagen.
Irgendwann steige ich von diesem Zossen und kann mich nur noch bewegen wie ein altes Marktweib. Ohne jede Eleganz, dafür auf krummen Beinen!, dachte Zoe mürrisch.
Seit dem Morgengrauen saß das blonde
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