Die silberne Maske
seufzte innerlich. Die Nacht war so schön, das Holunderversteck so lauschig. Überall zirpten die Grillen, ein laues Lüftchen wehte, und keinen Steinwurf entfernt versprühten magische Wesen ihren Zauber. Eine perfektere Szenerie, um sich näherzukommen, gab es nicht.
Und was macht er? Spachtelt sein Essen, als wäre alles andere belanglos.
Urplötzlich hielt Laycham inne, ließ die Schüssel sinken. Zoe hatte kurz Angst, er hätte ihre Gedanken erraten. Doch dann hörte sie es auch.
Vom dunklen See kamen Laute herauf. Es war kein Wiehern, eher ein Zweiklang aus Grundton und Quinte. Leicht gezogen. Glockenrein.
Erstaunt wandte sich Zoe dem Prinzen zu. Sie ahnte das Lächeln hinter seiner Maske, als er auf ihre unausgesprochene Frage antwortete.
»Sie singen«, sagte er.
Vielleicht war es der Hengst, der das Lied der Marlinge eröffnet hatte. Weitere Stimmen folgten, und sie waren heller. Nach und nach fiel die ganze Herde ein - wie ein Choral, perfekt aufeinander abgestimmt, ohne den leisesten Missklang.
Zoes Augen wurden feucht vor Rührung. Etwas so Ergreifendes, Wunderschönes hatte sie noch nie gehört. Die Zauberstimmen berührten ihr Herz, und sie füllten es mit Glück. Vergessen war der Ärger über Laychams sture Zurückhaltung, vergessen die Angst vor der ablaufenden Lebenszeit. Nichts zählte mehr außer diesem unvergleichlichen, magischen Gesang.
Laycham streckte die Hand nach ihr aus. »Tanz mit mir!«, bat der Prinz.
Zoe stand auf, und ein kleines bisschen zitterten ihr die Knie.
Laycham hielt ihr seine Hände hin, Handflächen nach oben. Sie folgte der Aufforderung, und ihre Fingerkuppen berührten sich sacht.
Schweigend führte er Zoe aufs Gras, in den Widerschein des Feuers, der die düstere Grausamkeit ihrer Masken wegleuchtete und sie geheimnisvoll und schön wirken ließ. Die Blicke der beiden versanken ineinander, ihre ungleichen Herzen schlugen im Takt. Alles andere um sie herum verschwand unter den Flügeln der lauen Sommernacht.
Und während die Marlinge sangen, tanzte das Paar, das nicht sein durfte, ein Elfenmenuett.
Alle Fakten wurden nichtig, alle Hindernisse klein, als der Prinz und die Menschenfrau auf der Grenze ihrer beiden Welten dahinschwebten; leichtfüßig und so selbstverständlich, als hätten sie nie etwas anderes getan. Voller Zärtlichkeit und Vertrauen.
Da gellte ein Schrei durch die Nacht.
»Nukken! Nukken!«
Die Luft war erfüllt von herumschwirrenden bunten Lichtchen, als Zoe und Laycham das Lagerfeuer erreichten. Birücs Männer hatten sich mit ihren Holztellern bewaffnet und rannten fluchend hinter den kleinen Dingern her.
» Dafür haben sie dieses Geschrei veranstaltet?«, fragte Zoe so gedehnt wie verärgert. »Wegen ein paar Glühwürmchen?«
»Das sind keine Glühwürmchen.« Laycham bückte sich nach einer Schöpfkelle, als eines der Lichter auf ihn zubrummte. Wütend holte er aus, schlug es zu Boden und trat darauf. Es erlosch mit leisem Klagepieps.
Zoe hatte nicht erwartet, dass die Wesen schmerzempfindlich waren. Sie entdeckte eines an Laychams Rücken und wich unauffällig etwas zurück, um es sich anzusehen.
Das fingerlange Wesen musste ein Käfer sein, aber ein wenig anders als die Glühkäfer, die sie vorhin hier herumschweben gesehen hatte. Es besaß zwar einen Chitinpanzer und einen schwarzen Kugelkopf, auf dem zwei Fächerfühler zitterten. Allerdings hatte es nur vier Beine, und auch die Panzerfärbung war ungewöhnlich: Zwischen feinen Goldrändern changierten diverse Abstufungen desselben Grundtons, hier ein helles Moosgrün. Es sah aus wie das Werk eines Designers. Dior hätte es nicht besser hinbekommen.
Aber das Gesicht ...
Zoe hielt den Atem an, als sie erkannte, was da zu ihr hersah. Ein freundliches altes Hutzelgesicht mit schwarzen Knopfaugen, die neugierig ihren Blick erwiderten.
»Sind das ... sind das Zwerge oder so?«, fragte sie Laycham.
»Nein.« Wieder schlug die Schöpfkelle zu, und wieder hauchte eine Nukke unter den prinzlichen Stiefeln ihr Leben aus. »Das sind Insekten. Lästige Quälgeister.«
Ein zweiter Käfer landete auf Laychams Rücken, königsblau auf den Flügeln und mit himmelblauer Leuchte am Körper. Zoe kam es vor, als würden die beiden ihre Köpfe zusammenstecken, um zu tuscheln. Der Eindruck verstärkte sich, als das blaue Ding sich plötzlich zu ihr umdrehte und die Spitze seines Käferbeins über seinen ... - ja, was? Mund? - legte.
Zoe wusste, dass die Fauna ihrer eigenen Welt manchmal
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