Die silberne Maske
diesem Ruf, setzte Labinnah ihren Weg fort.
»Sind sie in Sicherheit?«, fragte Cordt zur Begrüßung, als er der Freundin öffnete. Seine Nachbarn, ein altes Ehepaar, sollten von einem Fluchthelfer in dieser Nacht aus dem Krater gebracht werden.
»Das wissen wir erst, wenn Kivo zurückkehrt. Aber ich glaube schon.« Labinnah ging an ihm vorbei ins Haus.
Cordt warf hinter ihr einen misstrauischen Blick ins Freie, dann schloss er schnell die Tür.
Der Gerber zählte zu den wenigen Leuten, die niemand je verdächtigt hätte, mit dem Widerstand zu sympathisieren. Immerhin gehörte Maletorrex’ Faitachenarmee zu seinen besten Kunden. Vom Halfter bis zur Uniform - alles war aus Leder, und Cordt war der Einzige in der Stadt, der es herstellen konnte.
Seine Gerberei stand unten am Fluss, beim Drachenzahnfelsen. Weit genug von beiden Dar Anuins entfernt, dass die Bewohner nicht dem höllischen Gestank ausgesetzt waren, den das Verarbeiten abgezogener Tierhäute mit sich brachte. Anfangs noch unter strenger Bewachung, hatte Cordt über die Jahrhunderte das Vertrauen der Priesterschaft gewonnen. Deshalb war er von der Kartause mit dem Sonderrecht ausgestattet worden, die Stadt unbeaufsichtigt zu verlassen.
Er war ein gewohnter Anblick, der Alte mit seinem Handkarren und seinem stinkenden, haarigen Sklaven auf dem Weg zum Himmelstor. Die Städter beachteten ihn längst nicht mehr, und die Torwächter winkten ihn durch - immer eine Hand an der Nase und dankbar für jeden frischen Windhauch.
Cordt war aber alles andere als regimetreu. Er hatte nur nie zu flüchten versucht, weil er unerschütterlich an Prinz Laycham glaubte. Irgendwann, hatte er sich gesagt, würde der wahre Herrscher von Dar Anuin einen Weg finden, das verlorene Paradies zu befreien. Sein verlorenes Paradies, das der alte Mann so liebte.
Jetzt war neue Hoffnung aufgekeimt. Deshalb hatte sich Cordt den Rebellen angeschlossen und einen verdeckt operierenden Zirkel innerhalb des Widerstands gegründet. Eine kleine Gruppe mutiger Elfen, die bedrohte Bewohner aus der Stadt schmuggelten.
Wie notwendig ihr Einsatz war, sah man an den vielen Toten draußen vor dem Vulkan - lauter Leute, die auf eigene Faust zu fliehen versucht hatten und gefasst worden waren. Man hatte sie zur Abschreckung einfach liegen lassen.
»Wir müssen die anderen warnen: Auf der Straße zum Himmelstor sind jetzt zwei Faitachen stationiert! Zum Glück hat Kivo sie rechtzeitig bemerkt, und ich konnte sie ...« - Labinnah lachte - »... der Spuk konnte sie weglocken. Die drei sind im Eulengehege sicher. Aber es war knapp, sage ich dir!«
Cordt lächelte seiner Verbündeten zu. »Komm erst mal in die Küche, Labinnah! Du hast doch sicher Hunger.«
Die junge Frau nickte dankbar. Endlich durfte sie sich ausruhen! Sich hinsetzen, entspannen. Es war ein langer Tag gewesen.
Gähnend folgte sie Cordt in die Küche. Erst jetzt ließ sie die Müdigkeit zu, mit der Körper und Geist auf die Strapazen ihres anstrengenden Rebellendaseins reagierten.
Cordt machte sich schweigend an die Zubereitung einer späten Mahlzeit, während Labinnah ihm erzählte, was sie erlebt hatte. Er nickte hin und wieder, stellte Brot auf den Tisch. Und Käse. Einen Becher für den Tee.
Labinnah sah ihm zu, wie er die Herdklappe öffnete und das ersterbende Feuer mit Holzscheiten fütterte. Sie lächelte, als die Flammen aufzüngelten und Wärme sich im Raum verbreitete.
Wie zu Hause!, dachte sie. Zu Hause war es auch immer warm.
Sie seufzte leise. Kaum zu glauben, dass erst sieben Sonnenaufgänge vergangen sind, seit mein Vater Prinz Laycham nach draußen begleitet hat. Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit!
Labinnah griff in ihr Gewand, zog die schwarze Maske heraus und legte sie auf den Tisch. Leere Augenschlitze starrten sie an. Nachdenklich strich sie über den Besatz aus kleinen, rund geschliffenen Rubinen. Es waren abgesprengte Knöpfe vom Kleid ihrer Mutter, das sie trug, als die Faitachen kamen, um sie zu den Feldern der Alten Stadt zu deportieren.
Ich musste es tun!, dachte Labinnah unglücklich. Meinen Vater zu verleugnen war die einzige Möglichkeit, Mutter zu retten. An dem Tag hatten sie Helfer für die Ernte gesucht, aber wer heute etwas gegen die Priester sagt, wird sofort getötet. Und früher oder später hätte sie etwas gesagt!
Labinnahs Mutter war eine Frau, die sich zwar wie viele andere mit dem Leben in der Kraterstadt arrangiert hatte, die Sehnsucht nach Freiheit allerdings nie verlor. Sie
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