Die silberne Maske
und wies auf eine Lücke zwischen zwei Häusern. »Er ist dort hineingelaufen.«
»Hinterher!« Nethan zückte sein Schwert, wollte schon losrennen.
Asad hielt ihn am Arm zurück. »Warte mal kurz!«
Misstrauisch beäugte er die junge Frau. Die Begegnung mit dem Spuk musste sie wirklich erschreckt haben, denn ihr Atem ging schnell. Sie war ein hübsches Ding mit roten Wangen, das bestimmt mal einen Arbeiter glücklich machen würde. Zu Höherem reichte es allerdings nicht.
Asad verzog die Mundwinkel.
Labinnah trug ein schlichtes, altmodisches Elfengewand: bodenlang, gerade geschnitten, mit Trompetenärmeln und einer Kapuze, die beim Tragen über beide Schultern hinausragte. Sie endete in einem langen Zipfel, der fast bis an den Po reichte.
Nur ein Kartoffelsack wäre unerotischer und öder als dieses Kleid!, dachte Asad. Warum zieht sie sich nichts Nettes an? Und überhaupt ...
»Was machst du hier draußen um diese Zeit?«, fragte er harsch. »Es ist verboten, nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straße zu gehen.«
»Ich weiß.« Labinnah sah ihn wie um Verständnis bittend an, mit schief gelegtem Kopf. Fast wäre ihre Kapuze nach hinten gerutscht. Sie packte den Rand mit beiden Händen und zog ihn unter dem Kinn zusammen. Blöd sah das aus, fand Asad.
»Aber ich suche meinen Bruder! Er ist noch so klein, und ich habe ihn seit dem Mittag nicht mehr gesehen.«
»Klein sein schützt nicht vor Strafe! Jeder wird erschossen, der unsere Befehle missachtet!«
Nethan winkte ab. »Komm, lass sie gehen, Asad! Ihr Vater ist einer von uns.«
Der Faitache korrigierte sich: » War einer von uns, bis er mit Prinz Laycham ... Du weißt schon. Aber dass Labinnah linientreu ist, hat sie ja bewiesen.«
Nethan erinnerte Asad daran, wie die junge Frau kurz nach Ausbruch der Revolte auf die Straße gerannt war und laut geschrien hatte, ihr Vater sei ein Verräter, mit dem sie nie wieder etwas zu tun haben wollte, weil er den einzig wahren Herrn von Dar Anuin - Maletorrex - im Stich gelassen hatte.
Ihre Mutter war daraufhin zornentbrannt aus dem Haus gestürzt und hatte ihr eine schallende Ohrfeige verpasst. Man hatte die Frau dann am nächsten Tag abgeholt und mit anderen zu Zwangsarbeit Verurteilten nach Dar Anuin gebracht - dem echten Dar Anuin draußen am Drachenzahnfelsen. Denn Revolte hin oder her, es war Erntezeit, und auf den Feldern wurden helfende Hände gebraucht.
»Wir haben keine Zeit für das Mädchen!«, drängte Nethan. »Komm schon, Asad! Denk an den Spuk.«
»Der ist längst weg«, murrte Asad. Er zögerte einen Moment, dann nickte er der jungen Frau zu. »Verschwinde! Und lass dich nicht noch mal erwischen.«
Erwischen lassen durften sich die Faitachen ebenso wenig, deshalb traten sie nach diesen Worten eilends den Rückzug an.
Asad und Nethan waren als Verstärkung ans Himmelstor entsandt worden, um den davor liegenden Straßenabschnitt zu sichern. Denn in den letzten Tagen war die Zahl der Fluchtversuche sprunghaft angestiegen, und es gab einen Schießbefehl.
Doch reguläre Torwächter, so loyal sie gegenüber der Priesterschaft sein mochten, legten nur halbherzig auf Zivilisten an. Sie waren auch nicht geschult an Bogen und Armbrust, weshalb man ihre ständigen Fehlschüsse als Dilettantismus werten konnte. Eine Entscheidung, die beiden Seiten zugutekam: Auf Befehlsverweigerung stand die Todesstrafe, aber Ersatzleute waren in der momentanen Situation nicht zu finden.
Drecksrevolte!, dachte Asad, als er wieder in sein Versteck am Straßenrand kroch. Sie sollen alle krepieren, diese Rebellen. Dann herrscht Ruhe. Und wir können die Kaserne auflösen - freie Häuser gibt es dann ja genug.
Labinnah blieb reglos stehen, bis die Schritte der Faitachen verklungen waren. Erst dann kam Leben in die junge Elfe. Aufatmend wandte sie sich um und lief an dem verlassenen Wächterhaus entlang zu einem klaffenden Riss im Mauerwerk. Sie schlüpfte hindurch, tastete über den Boden.
»Das war verdammt knapp!«, murmelte sie, während sie ein schwarzes Maskentuch aufhob. Hastig knüllte sie es zusammen und schob es in ihr Gewand.
»Die Kerle hätten mich fast erwischt! Wenn sie unterwegs nicht stehen geblieben wären - warum haben sie das getan?«
Labinnah hielt sich nicht mit der Suche nach Antworten auf. Sie raffte ihr Kleid zusammen - ein altes Erbstück ohne Knöpfe und Schleifen, das man schnell Überwerfen konnte dann machte sie sich auf den Weg zu Cordt.
Der Gerber wohnte drei Straßenringe tiefer.
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