Die Silberschmiedin (2. Teil)
verharrten, weil die anderen am Ende auch zu niedrig waren, seine Größe zu erkennen und ihn zu verstehen?
Und hatte er nicht auch sie, Eva, neu erschaffen? Hatte David nicht die Frau, das Weib in ihr ans Licht gebracht und ihr gezeigt, wer sie wirklich war?
Aber war sie früher nicht eine ganz andere gewesen? Eine, die sich in dem wohl fühlte, was das Leben ihr schenkte. Im Mittelpunkt steht der Mensch, das war Davids Credo. Aber dort, wo Eva jetzt stand, da war kein Mittelpunkt. Sondern der äußerste Rand.
«Liebst du mich, Eva?», fragte David. «Sag, liebst du mich noch?»
Sie sah zu ihm auf und entdeckte etwas in seinen Augen, das sie nicht recht zu deuten wusste. War es Angst?
«Ja, David, ich liebe dich noch», antwortete sie schließlich und wusste nicht, ob sie log.
Das, was sie für David empfand, wechselte so schnell, dass Eva es selber nicht in Worte fassen konnte.
Doch sie ließ es zu, dass er ihr das Kleid von den Schultern streifte, ihren Körper mit sanften Küssen bedeckte und seine Hände ihren Leib streichelten.
Dieses Mal benutzte er weder einen Überzieher aus Tierdarm, noch zwängte er ihr die schmerzhaften Pessare in den Schoß. Er liebte sie so vorsichtig, als habe er Angst, ihr wehzutun.
Lieber Gott, betete Eva, als er sich in sie ergoss, schenk mir ein Kind. Behutsam strich sie über seine Haut, die überall von Geschwüren bedeckt war. Doch sie hatte keine Angst, sich anzustecken. Die Franzosenkrankheit war die Krankheit, die Gott den Sündigen angedeihen ließ. Aber mit dem eigenen Mann zu schlafen war keine Sünde.
Am nächsten Tag erwachte Eva verwirrt. Eigentlich hätte sie über Davids neu erweckte Zärtlichkeit glücklich sein müssen, doch sie konnte nicht mehr ganz daran glauben. Dazu kam, dass sie sich Sorgen um Adam machte. Schon lange hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Auch Mattstedt hatte keine neuen Nachrichten empfangen. Selbst wenn sie sonst nichts tun konnte, so würde sie heute für ihn eine Fürbitte lesen lassen. Gleich nach dem Frühstück lief sie zur Nikolaikirche und besprach sich mit Johann von Schleußig.
Der Priester freute sich sichtlich, sie zu sehen.
«Wie geht es Euch, Eva?», fragte er mit warmer Stimme, nachdem sie über den Anlass ihres Besuchs gesprochen hatten.
Eva fiel zum ersten Mal auf, dass Johann von Schleußigs Augen braun waren. Kein besonderes Braun, nicht zu hell, nicht zu dunkel.
Doch da war etwas, das Wärme in Eva auslöste. Ja, es war, als umfange Johann von Schleußig mit einem Blick aus seinen gewöhnlichen braunen Augen ihre ganze Person.
Und plötzlich erkannte sie etwas Wichtiges: David glaubte, alles über sie zu wissen. Johann von Schleußig aber wusste alles über sie.
Während der eine sah, was er sehen wollte, ein Bild vor Augen hatte und sich nicht die Mühe machte, das Bild mit der Wirklichkeit zu vergleichen, sah der andere die Wirklichkeit – und fand sie offensichtlich gut und richtig, sodass er kein beschönigendes Bild benötigte.
Die Wärme seines Blickes malte ihr ein Lächeln ins Gesicht.
Sie umarmte Johann von Schleußig und flüsterte ihm ins Ohr: «Ich danke Euch sehr für alles. Vielen Dank!»
Dann machte sie sich los und lief fröhlich davon.
Schon von weitem sah sie das Pferd, das vor ihrem Haus angebunden war.
«Adam», flüsterte Eva. «Adam ist zurück.»
Sie raffte ihren Rock mit beiden Händen, beschleunigte ihre Schritte, rannte beinahe und kam atemlos vor dem Haus an.
Regina trat heraus. «Ist Adam da? Ist er zurückgekommen?», fragte sie das Mädchen.
«Hmm», antwortete diese und wollte das Pferd losmachen, doch diesmal griff Eva ein. Sie packte das Kind an den Schultern, drehte es zu sich um. «Wenn ich dich etwas frage, dann antwortest du mir. Ich bin die Meisterin, du das Lehrmädchen. Du tust, was ich dir sage. Hast du das verstanden?»
Regina sah sich unsicher um. «Susanne hat gesagt, es reicht, wenn ich tue, was sie sagt.»
«So? Hat sie das? Dann sage ich dir jetzt, dass ich die Meisterin und Herrin im Hause bin. Wähle selbst, Regina.»
«Ja, Silberschmiedin», hauchte das Mädchen. «Soll ich jetzt den Gaul zum Mietstall bringen, wie Susanne es gesagt hat?»
«Ja. Und dann sieh zu, dass du zurück an die Arbeit kommst.»
Eva stürmte in die Küche, wo sich Adam an einem Becher Most labte, und flog ihm in die Arme.
«Adam, Gott sei Dank, dass du wieder da bist. Komm, ich mache dir etwas zum Essen.»
«In Naumburg war ich», berichtete Adam am Abend, als
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