Die Silberschmiedin (2. Teil)
sich Eva, David und sogar Susanne in der Wohnstube eingefunden hatten. Wein stand auf dem Tisch, und Susanne hatte ein paar kleine Kuchen gebacken, von denen sie wusste, dass David sie besonders gern mochte.
«Naumburg?», fragte Eva. «Was hat dich dorthin geführt?»
David, der neben ihr saß, legte eine Hand auf ihr Knie und antwortete an Adams Stelle: «Es gibt einen berühmten Arzt dort. Adam wird seine Studien bei ihm fortgesetzt haben.»
Adam lächelte. «Ich gebe zu, dass dies wirklich ein guter Grund für meine Reise gewesen wäre, doch ich habe deine Eltern besuchen wollen, David.»
«Davids Eltern?», fragte Eva verblüfft und sah ihren Mann an. «Naumburg? Wieso Naumburg? Ich dachte, du stammst aus Halle?»
Davids Gesicht wurde blass, und sein Körper spannte sich. «Hast du sie getroffen?», fragte er und goss sich aus einer Karaffe Wein in sein Glas. Seine Hand zitterte dabei.
«Nein», erklärte Adam. «Ich habe deine Eltern nicht gefunden. Niemand in Naumburg konnte sich an eine Familie mit dem Namen erinnern.»
Eva sah, dass David aufatmete.
«Nun, die Bewohner in den Städten wechseln häufig. Es ist lange her, dass jeder jeden kannte», erklärte David so beiläufig wie möglich.
«Das mag stimmen», gab Adam zu. «Aber ich traf einen alten Gerber. Er lebt vor den Toren der Stadt, dort, wo die Unehrlichen ohne Geburtsschein, die Ausgestoßenen oder die mit den verfemten Berufen hausen.»
David beugte sich ein Stück nach vorn. «Die Unehrlichen werden nicht umsonst so genannt», erwiderte er. «Man kann ihren Worten keinen Glauben schenken.»
«Der Mann, den ich meine, lag auf den Tod darnieder. Er hatte kein Geld für einen Arzt oder Bader, also sah ich nach ihm. Doch ich konnte ihm nicht mehr helfen. Dem Priester war der Weg hinaus vor die Stadt zu den Verfemten zu weit, und so blieb ich bei ihm und hörte seine Lebensbeichte an.»
«Ich glaube kaum, dass jemand die Geschichte eines Fremden ohne Ehre hören möchte», warf David ein, doch Eva widersprach.
«Ich schon. Ich möchte die Geschichte des Gerbers hören.»
Susanne nickte.
«Der Gerber stammt aus Frankfurt, ist dort geboren, hat dort gelebt und in einer Gerberei gearbeitet, die einem Meister gehörte, der aus dem Sächsischen kam.
Dort, in der Gerberei des Meisters Sachs, traf er die Kürschnersfrau zum ersten Mal. Ein Wortwechsel entstand, und der Gerbergeselle wagte sich zu weit vor. Mit vorlauten Worten verspottete er die Meisterin. Nun, diese ließ sich eine solche Behandlung durch einen Niederen nicht gefallen und sorgte dafür, dass der Gerbergeselle büßen musste. Ein Strafgeld sollte er an sie zahlen. Er tat es, kratzte dafür den letzten Groschen zusammen, den er für seine Heirat aufgespart hatte. Die Heirat fiel ins Wasser, und der Geselle schwor, sich an der Meisterin zu rächen.
Einige Jahre vergingen, dann heiratete die Meisterin einen Mann, der ihr nicht wohl gesonnen war und sie nur vor den Altar geführt hatte, um aus ihrem Reichtum Vorteile für sich zu schlagen. Doch das ließ die Frau nicht zu.
Der Ehemann der Meisterin geriet in Wut und beauftragte den Gerbergesellen, ihr während der Fastnacht eine Lehre zu erteilen.
Der Gerber verkleidete sich als Krähe, lauerte der Frau auf und wollte sie schänden, doch ein Vorbeikommender verhinderte dies. Die Frau aber hatte ihn erkannt und sorgte dafür, dass der Geselle der Buhlschaft mit dem Teufel bezichtigt wurde.
Die Stadtknechte holten ihn, befanden ihn für schuldig. Er wurde mit einem Eisen auf der Wange gebrandmarkt und unter Spott und Gelächter aus der Stadt getrieben.
Mit nichts als seinen Kleidern auf dem Leib schlug er sich einige Jahre am Rande des Hungertodes durch das Leben. Für einen Gebrandmarkten hatte niemand Arbeit, niemand ein gutes Wort, ein Stück Brot oder gar Zuneigung übrig.
In Naumburg traf der Geselle auf eine Kräuterkundige, die ebenfalls zu den Ausgestoßenen gehörte. Sie taten sich zusammen und bekamen einen Sohn.
Noch bevor der Sohn erwachsen wurde, war dem Gerber bereits klar, dass er von seinem eigenen Fleisch und Blut verachtet wurde. Sein ganzes Leben lang ließ es der Knabe an Ehrerbietung fehlen und hatte für Mutter und Vater nur Verhöhnung und Zorn übrig.
«Ihr habt mir mein Leben gestohlen», soll er gewütet haben, als er älter wurde. «Weil Ihr versagt habt, zu blöde ward, Euch zu nehmen, was Euch zusteht, stehe ich nun als Ausgestoßener da.»
Im Zorn hat er die Eltern sogar angespuckt und
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