Die Silberschmiedin (2. Teil)
deren gelber Schleier am Gewand verriet, dass sie selbst in einer Badestube arbeitete.
Wieder grollte ein Donner. Wenige Sekunden später zuckte ein Blitz über den Himmel. Die Leute sahen nach oben und bekreuzigten sich.
Die Mutter zupfte Eva am Ärmel. «Komm, lass uns gehen, bevor der Regen kommt.»
Sie zog Eva davon, doch Eva konnte den Blick nicht von der Toten lassen und folgte ihrer Mutter nur zögernd.
Das tote Mädchen ging Eva auf dem Heimweg nicht aus dem Kopf. Wer konnte so eine Tat begangen haben? Ein Silberschmied? Kannte sie ihn etwa?
In Frankfurt hatten sich nicht allzu viele Silberschmiede niedergelassen. Eva selbst arbeitete in der Werkstatt des Rundscheiner, seitdem sie aus Florenz zurückgekehrt war, wo sie bei dem berühmten Goldschmied Andrea della Robbia ihr Handwerk verfeinert hatte. Außer ihm gab es nur noch wenige Goldschmiede in der Stadt. Ausgerechnet einer von ihnen sollte … «Nein», Eva schüttelte unwillkürlich den Kopf. Es musste ein Kannnengießer oder Waffenschmied gewesen sein, keiner aus ihrer Zunft.
Die ersten Regentropfen fielen, ihre Mutter bemerkte Evas Nachdenklichkeit und forderte sie auf, sich zu beeilen.
Eva gehorchte, und zum wiederholten Mal wunderte sie sich, wie schnell ihre Mutter zum Alltag übergehen konnte. Auch als sie aus Italien wiedergekommen waren, war es Sibylla schnell gelungen, wieder ihre Geschäfte aufzunehmen. Sie hatte fast nahtlos an ihre früheren Erfolge anknüpfen können, die aus einer kleinen Kürschnerei eine weithin bekannte Werkstatt gemacht hatten. Dafür bewunderte Eva ihre Mutter sehr. Doch manchmal war ihr ihr Ehrgeiz unheimlich, und sie fragte sich, was aus der Mutter geworden war, die sie in Florenz erlebt hatte: Liebend und glücklich war sie damals gewesen. Doch all das war mit Isaaks Tod verschwunden, und Sibylla war wieder die eiskalte Geschäftsfrau von früher. Eva selbst war ganz anders. Sie wusste viel über griechische Philosophie, schrieb kleine Gedichte, doch seit ihr Vater tot war, gab es niemanden in ihrer Umgebung, der sich für dieselben Dinge interessierte. Sie hatte keine Freundin. Ihre kleinen Geheimnisse und Sehnsüchte teilte sie mit Adam, ihrem Stiefbruder, der seit dem Eintritt seiner Mutter in ein Kloster mit der stummen Dienerin Ida allein in einem Haus lebte und sich medizinischen Studien widmete. Und manchmal mit Susanne, der älteren Tochter von Sibyllas zweitem Mann Wolfgang Schieren. Doch Susanne war verheiratet, hatte wenig Zeit und Verständnis für das Leben Evas.
Der Regen wurde nun stärker. Sibylla und Eva fingen an zu laufen und erreichten die Haustür gerade noch rechtzeitig, bevor das Gewitter richtig losbrach. Auch der Magd war es noch gelungen, die Wäsche hereinzubringen.
Sibylla gab ihr Anweisungen, zog sich dann mit Eva in den Wohnraum zurück und begann die Kontorbücher zu prüfen.
Eva sah auf die gelb getönten Butzenscheiben, gegen die der Regen trommelte.
«Hoffentlich ist das Mädchen schon in die Krypta der Kirche gebracht worden», sagte Eva seufzend.
Die Mutter sah hoch und betrachtete sie prüfend. «Vergiss die Tote», sagte sie. «Du kannst ihr ohnehin nicht helfen. Es gibt hier genug Dinge, über die du nachdenken kannst. Zum Beispiel, wie es mit dir weitergehen soll. Seit Monaten geben sich die Männer die Klinke in die Hand, die um dich freien wollen.»
«Nun, heute wird sie wohl der Regen abhalten», erwiderte Eva und lächelte schwach.
«Oh, täusche dich nicht, Kind. Wenn Männer etwas wollen, dann lassen sie sich schwerlich von ein bisschen Regen hindern.»
Sibylla öffnete eine der zahlreichen Schubladen ihres kostbaren Schreibtisches, der nach italienischer Machart gefertigt war. Sie entnahm ihr einen Bogen und hielt ihn Eva entgegen.
«Seit unserer Rückkehr aus Florenz haben sich zahlreiche Männer um dich beworben. Die besten Söhne der Stadt sind vorstellig geworden. Ich habe begonnen, eine Liste anzulegen. In dieser Woche haben sich gleich drei angemeldet: Matthias Fürneisen, Schlossermeister und Vize der Zunft, dann Magister Groh und der Apotheker Kemper aus der Römerapotheke. Auch der Stadtmedicus hat sich nach dir erkundigt.»
«Ich weiß jetzt schon, dass ich keinen von ihnen heiraten möchte», entgegnete Eva und sah weiter dem Regen zu.
«Gestern, als du bei der Zunft warst, kam der Hutmacher Enke. Ich habe dir noch nicht davon erzählt», sprach sie weiter.
«Melchior Enke?»
«Ja, genau der. Er ließ sich melden, kam in den Wohnraum
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