Die Silberschmiedin (2. Teil)
würden Eva und Susanne in einer Reisekutsche ebenfalls nach Leipzig gelangen.
Der letzte Abend brach an. Sibylla ging zu ihrer Tochter in die Kammer, die so leer war wie ein Vorratsspeicher im Frühjahr.
«Morgen früh wirst du mich verlassen», sagte Sibylla und betrachtete ihre Tochter aufmerksam.
Eva nickte und seufzte lächelnd. Noch einmal sah sie sich in dem kargen Raum um, in dem sie so viele Jahre verbracht hatte. Neben dem Fenster hing noch ein Sträußchen von getrocknetem Lavendel, das sie aus Florenz mitgebracht hatte. Ihr Waschgeschirr stand in einem Ständer neben einem kleinen Wandbord, das mit Erinnerungen an ihre Jugend übersät war: eine getrocknete Feldblume, die ihr beim letzten Maitanz ein Bursche geschenkt hatte, bunte Bänder für das Haar, Glasbehälter, in denen einmal Duftwässer gewesen waren.
Daneben war ein heller Fleck. Evas Bücher, Kostbarkeiten von großem Wert, waren längst in die Reisetruhen verpackt.
«Ich habe ein Geschenk für dich, Eva», sagte Sibylla, nahm ihre Tochter bei der Hand und führte sie in die eigene Schlafkammer.
«Hier, diesen Spiegel aus venezianischem Glas schenke ich dir.»
«Mutter, das ist der Spiegel, den mein Vater für dich anfertigen ließ!»
«Ich weiß, Kind. Und deshalb sollst du ihn auch haben. Ich habe keine Verwendung mehr dafür. Ich weiß, wer ich bin, und kein Spiegelbild wird mich eines anderen belehren. Und ich weiß, wie ich aussehe.»
Eva umarmte ihre Mutter und flüsterte: «Ich werde dich vermissen. Du warst immer mein Vorbild und wirst es bleiben. Aber ich bin nicht so wie du, auch wenn ich deine Tochter bin. Hoffentlich enttäusche ich dich nicht.»
Wenn Evas Worte Sibylla rührten, so ließ sie es sich nicht anmerken. Sie klopfte ihrer Tochter auf den Rücken, dann wand sie sich aus der Umarmung und verließ das Zimmer.
Im Flur hörte Eva sie rufen: «Wo sind die Knechte, he? Sie sollen den Spiegel einpacken. Morgen früh geht er mit Eva auf Reisen. Worauf wartet ihr noch?»
Kapitel 2
Die Sonne war gerade aufgegangen von, als die Reisekutsche inmitten eines Trosses von Planwagen und Kutschen von Frankfurt aus aufbrach. Bewaffnete Männer ritten der Kolonne voran. Reisen über Land waren gefährlich. Die Zeiten waren schlecht, viele Bauern waren aufgrund der immensen Abgaben an die Kirche und den Lehnsherrn so in Armut geraten, dass sie ihre Familien nicht mehr ernähren konnten. Diese armen Bauern, aber auch Soldaten, die keinen Feldherrn mehr hatten, entlassene Sträflinge und andere Wegelagerer lauerten entlang der bekannten Strecken.
Dennoch fühlte sich Eva inmitten des bewachten Trosses geborgen. Solange die Kutsche nicht kaputt ging, keine Achse und kein Rad brachen, waren sie, der Hausrat und die Pelze sicher. Angenehm würde diese Reise trotzdem nicht werden. In der Kutsche war es unerträglich heiß und eng.
Eva gegenüber saß Heinrich, der Altgeselle, der von Anfang an für ihre Mutter gearbeitet hatte und Eva in den langen vaterlosen Jahren ein guter Ratgeber geworden war. Nun hatte er die 50 längst überschritten und fühlte sich nach dem Tod seiner Frau, mit der er nur wenige Jahre gemeinsam gehabt hatte, unnütz. Sibyllas Angebot, Eva in Leipzig mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, schien ihm ein Wink des Schicksals. Er war zwar Kürschner, doch hatte er, wie die meisten Handwerker, auch ein großes Geschick für andere Gewerke.
Neben ihm hatte eine dicke Spezereienhändlerin Platz genommen, die bis Erfurt ihre Weggefährtin sein würde. Ihr rotbackiges Gesicht mit den wasserblauen Augen sah freundlich in die Gegend.
Eva blickte aus dem Fenster und warf einen letzten Blick auf die Frankfurter Häuser, deren Dächer im Licht der aufgehenden Sonne wie poliertes Kupfer glänzten.
Sie war aufgeregt. Ihre Hände knüllten unentwegt den Stoff ihres Kleides. Zum ersten Mal stand sie allein im Leben.
Nicht ganz, kaum hatten sie die Stadttore hinter sich gelassen, sah sie Susanne vor einer Mühle warten. Sie machte dem Kutscher ein Zeichen anzuhalten.
Kurz darauf drängte Susanne sich auf den Platz neben Eva.
«Gott mit Euch», sagte sie und klopfte Heinrich, der sie verwundert anstarrte, aufs Knie.
«Na, Heinrich, du hättest nicht gedacht, dass wir uns noch einmal wiedersehen, nicht wahr?»
Heinrich blickte Eva vorwurfsvoll an. Sie seufzte. Ihr war klar gewesen, dass die Vorgehensweise den treuen Ehrenmann verletzen würde, aber ihre Mutter hatte den Altgesellen nicht in Susannes Geschichte einweihen
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