Die Silberschmiedin (2. Teil)
Eva zu zittern. «Nein, David», flüsterte sie. «Tu das bitte nicht.»
«Warum?», fragte er so laut, dass es alle in der Werkstatt verstehen mussten. «Ist es dir kein Bedürfnis, unsere Waren so gut und außergewöhnlich zu machen, wie wir es uns unserem Ruf schuldig sind?»
Eva sah zu Boden. David hatte sie stumm gemacht. Es gab nichts, was sie darauf erwidern konnte. Ihr Zittern wurde stärker, als Priska mit der Schüssel voll angerührtem Ton kam. Auch Regina war wieder zurückgekehrt, trug jetzt eine Schürze und hatte das Haar zusammengebunden.
«Gib mir deinen Arm», sagte David, doch Eva war nicht in der Lage, sich zu bewegen.
«Lasst doch die Meisterin», mischte sich Heinrich ein. «Wenn Ihr jemanden braucht, dann fragt Regina. Ich bin sicher, sie wartet nur darauf, in Silber gegossen zu werden.»
«Ja», erwiderte Regina und streckte ihren nackten Arm vor. «Ja, nehmt mich, Meister.»
David aber stieß Regina zur Seite, schob Eva einen Schemel hin, drückte sie darauf nieder und begann, die obere Hälfte des Armes mit Ton zu bestreichen.
Als Eva laut aufschluchzte, wurde es ganz still im Raum. Dann verließ Meister Faber die Werkstatt und knallte geräuschvoll die Tür hinter sich zu. Wenig später ging auch Heinrich, und Regina folgte ihm.
Jetzt war Eva mit David allein. Nur Priska war noch da. Sie stand hinter Eva und hatte ihr die kleine warme Hand auf die Schulter gelegt. Eva spürte das Streicheln des Kindes durch den Stoff ihres Kleides.
Dann griff auch Priska wortlos in den kalten Ton und half David, den Abdruck herzustellen.
Danach floh Eva stumm aus der Werkstatt.
Draußen war es neblig. Wie zerrissene Laken hingen die Nebelschwaden an den Hauswänden und ließen alles verschwimmen.
Eva hielt auf dem halben Weg zwischen Werkstatt und Wohnhaus inne.
Sie wusste plötzlich nicht mehr, wohin. Die Arme hingen wie Stöcke an ihrem Körper herunter. Der Nebel hatte alle Geräusche verschluckt. Sie hörte kein Hämmern aus der Werkstatt, keine Küchengeräusche vom Haus.
Für einen Augenblick dachte sie, ganz allein auf der Welt zu sein. Alles war, ohne dass sie es bemerkt hatte, irgendwohin verschwunden. Ihr Arm, an dem noch Spuren von Ton hafteten, begann zu kribbeln. Eva schob den Ärmel hoch, betrachtete ihn wie einen fremden Gegenstand.
Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen und bewegte sich langsam auf das Wohnhaus zu. Alles kam ihr fremd und bedrohlich vor. Als hätte sie ihr Zuhause verloren.
Sie öffnete die Tür und fing an zu laufen. Durch den Hausflur hinaus auf die Hainstraße – immer weiter, bis sie zum Markt kam. Auf einmal hörte der Nebel auf. Eva blieb stehen.
Erst jetzt merkte sie, dass sie keinen Umhang mitgenommen hatte und die Trippen unter den Schuhen vergessen hatte. Fröstelnd näherte sie sich einem Gemüsestand und befühlte mit gesenktem Kopf einen rotbackigen Apfel.
«He, Ihr da. Nehmt die Finger weg. Was angefasst wird, muss auch gekauft werden.»
Die scheltende Stimme der Krämerin ließ Eva aufsehen.
«Ach, Ihr seid es, Silberschmiedin!», rief die Krämerin verwundert aus. «Ich dachte, eine arme Begine oder entlaufene Nonne stünde vor mir.»
Eva sah durch die Krämerin hindurch und nickte.
«Oder seid Ihr es doch nicht? Seid Ihr nicht die Silberschmiedin?»
Die Marktfrau schüttelte den Kopf, verschränkte die Hände unter dem Busen und betrachtete Eva von oben bis unten. «Nun sagt schon: Seid Ihr die Silberschmiedin?»
Obwohl Eva die Frau gehört hatte, konnte sie nicht antworten. Es war, als ob der Nebel jetzt in ihr drin wäre und eine Wand zwischen ihr und der Welt errichtet hätte.
«Ob ich die Silberschmiedin bin?», fragte sie, hob den Arm, schob den Ärmel zurück und zupfte ein paar Krümel Ton von ihrer Haut. «Ich weiß es nicht, gute Frau. Sagt Ihr es mir. Bin ich die Silberschmiedin?»
Die Krämerin legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen. «Geht nach Hause, legt Euch ins Bett und trinkt einen kräftigen Kräutersud. Ihr werdet sehen, morgen sieht die Welt schon anders aus. Geht schon, geht, sonst landet ihr noch im Spital.»
Eva sah die Krämerin an. Auf einmal schien ihr alles klar zu sein. Sie straffte die Schultern, setzte ein stolzes Gesicht auf und sagte: «Ins Spital. Wie die Frau mit dem verbrannten Gesicht. Wisst Ihr, woher sie kam?»
Die Krämerin schüttelte den Kopf. «Ein Leipziger Mädchen war es nicht. Niemand kannte sie hier. Vielleicht war es eine aus dem Hurenhaus vor dem Hallischen
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