Die Silberschmiedin (2. Teil)
Geschwüre zum Abheilen bringen sollte.
Sie überlegte. Hatte Adam versucht, eine Quecksilbermischung herzustellen? Hatte er die Wirksamkeit an einem Knochen ausprobiert?
Nein. Sie schüttelte den Kopf. Wie kann man an einem toten Gegenstand das Abheilen von Geschwüren überprüfen wollen? Und was hatte das alles mit den Zwillingen zu tun?
Sie beugte sich erneut über das Anatomiebuch und blätterte darin herum. Plötzlich erstarrte sie. Sie war auf eine Seite gestoßen, auf der Verbrennungen abgebildet wurden. Das Papier war abgegriffen, als ob die Seite häufig aufgeschlagen würde. Eva schnappte nach Luft, doch es gelang ihr nicht, das Bild der Frau mit dem verbrannten Gesicht zu vergessen.
Hastig, als hätte sie Furcht vor dem, was sie hier noch entdecken könnte, verließ sie das Labor.
Einige Wochen später hatte Eva ihren gesamten Schmuck verkauft. Für das Geld erstand sie neue Rohstoffe für die Werkstatt. Das Silber ließ sie – hinter dem Rücken von Mattstedt und der Mutter – aus den eigenen Kuxen kommen. Sie wusste genau, dass ihr dies nur ein einziges Mal gelingen konnte. Der Mann in der Saigerhütte, der Evas Boten die Anteile aus der Mine in Silberbarren ausgehändigt hatte, war neu und hatte sich mit der Besitzurkunde auf Evas Namen zufrieden gegeben. Doch inzwischen war Mattstedt bestimmt informiert worden, dass Eva ihn als Verwalter und Treuhänder übergangen hatte. Ein schlechtes Gewissen hatte sie deshalb nicht; die Werkstatt schien fürs Erste gerettet.
«Du hast deinen gesamten Schmuck verkauft?», fragte Susanne und schüttelte fassungslos den Kopf. «Du hast Zink und Blei gegen Gold und Juwelen eingetauscht?»
«Ich brauche keinen Schmuck. Für David bin ich auch ohne Geschmeide schön. Seine Liebe ist es, die mich erblühen lässt.»
«Erblühen, ja?» Susanne lachte. «Eva, bist du blind geworden? Hast du dich in den letzten Wochen einmal im Spiegel betrachtet? Du trägst Kleider, die selbst Hildegard verschmähen würde. Deine Haube setzt du nicht einmal mehr im Hause ab. Du färbst dir die Wangen nicht rot, trägst weder Gürtel noch kunstvolle Schließen.»
Sie gab Eva einen Kuss auf die Wange, den ersten seit Evas Hochzeit. Dabei verrutschte die Haube, und Evas Kahlköpfigkeit wurde sichtbar.
Susanne starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den nackten Kopf. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, dann schloss sie ihn wieder und wandte sich ab. Schweigend ging sie zum Herdfeuer und rührte angelegentlich in einem Topf, als wäre dies die wichtigste Sache der Welt.
Eva saß da und starrte mit brennenden Augen auf Susannes Rücken. Sie hatte mit allem gerechnet: mit Gelächter, mit Vorwürfen, mit Häme, aber niemals mit Schweigen. Die Stille war schlimmer als alles andere.
Am Abend fragte sie David: «Was willst du, David? Was ist dein Ziel?»
Er lächelte spitz.
«Ich habe es dir oft genug gesagt, Eva. Ich werde mich auf den Platz stellen, der für mich geschaffen ist.»
«Welcher Platz, David, ist das? Und welche Rolle spiele ich dabei?»
Sein Lächeln wurde weicher. «Der Platz an deiner Seite, Eva. Als dein Mann, deine Liebe, dein Leben. Untrennbar und für immer vereint.»
Trotz seiner liebevollen Worte blieben seine Augen kalt.
Eva sah es und trat einen Schritt zurück, um sich über Davids Verhalten klar zu werden. Doch die Botschaften widersprachen sich noch immer. Seine Worte passten nicht zu seiner Miene.
Verwirrt wandte Eva sich ab.
Am nächsten Morgen in der Werkstatt kontrollierte sie die Fortschritte der beiden Lehrmädchen. Noch immer war es so, dass Priska mit außerordentlicher Geduld und Sorgfalt sämtliche Arbeiten in der Werkstatt erledigte. Sie kam am Morgen als Erste, legte die Holzscheite zum Befeuern der Brennöfen zurecht, richtete die Werkzeuge, bürstete vorsichtig den feinen Gold- und Silberstaub von den rauen Lederschürzen und achtete darauf, dass kein Körnchen der wertvollen Edelmetalle verloren ging. Dann füllte sie die Zuber zum Abkühlen der Rohlinge mit Brunnenwasser und fegte zum Abschluss des Tages die Werkstatt.
Regina dagegen hielt jeden Kratzer, den sie auf dem Metall hinterließ, für die Krone der Handwerkskunst.
Der Unterschied zwischen den beiden Mädchen war allen aufgefallen. «Priska ist ein kluges Kind. Ich habe selten ein Mädchen gesehen, das so ernsthaft arbeitet. Vielleicht wäre sie in einem reichen Kloster, in dem es viele Bücher gibt, gut aufgehoben. Regina dagegen wird ihren Weg gehen,
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