Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Zeit auf den Spuckeklecks am Boden. Ich kann nur erahnen, was er in diesem Moment dachte. Doch ich wollte es in jedem Fall wiedergutmachen, denn der Gedanke, dass der Alte die Operation in dieser Stimmung durchführte, beunruhigte mich sehr.
Glücklicherweise hingen mehrere Seile hinten an der Wand. Die holte ich mir und band sie um die Fesseln meines Pferdes Tub. Daran wollte ich ihn auf die andere Seite ziehen. Der Stallmeister konnte sich wahrscheinlich denken, was ich vorhatte, verweigerte aber jede Mithilfe. Stattdessen fing er an, sich eine Zigarette zu drehen, was er sehr sorgfältig machte, so, als erforderte es seine ganze Konzentration. Allein um die Seile festzumachen, benötigte ich fünf Minuten, während der er kein Wort sprach und ich allmählich die Geduld verlor. Es mochte ja sein, dass er mich zappeln lassen wollte, aber das hier war übertrieben. Doch wie sich dann zeigte, hatte er auch für mich eine Zigarette gedreht. »Wenn’s geht, bitte nicht ins Stroh aschen«, sagte er. An der Decke hing ein Flaschenzug. Wir schlugen die beiden Seile über die Rolle und zogen gemeinsam. So konnten wir Tub ganz leicht auf die andere Seite drehen. Nach all der Mühe und zwei gemeinsam gerauchten Zigaretten waren wir Freunde geworden, und ich verstand auch seine Verärgerung besser. Ich hatte über etwas gelacht, was er überhaupt nicht komisch fand, und das mochte er nicht. Aber wir waren eben sehr verschieden. Bei manchem, was ich durchaus komisch finde, dreht sich bei anderen der Magen um.
Tub lag im Tran auf dem Boden, und der Stallmeister holte den Löffel, den er in seiner Küche abgekocht hatte. Da der Löffel so heiß war, jonglierte er ihn hin und her, um sich nicht zu verbrennen. Mir fielen seine schmutzigen Hände auf, aber weil unsere Freundschaft so frisch war, riskierte ich nicht, ihn darauf anzusprechen. Zum Schluss pustete er sogar darauf. Dann sagte er: »Bleib weg von der Hinterhand. Wenn er keilt, hast du ein Loch im Bauch!« Dann, ohne Vorwarnung, fuhr er mit dem Löffel in die Augenhöhle und beförderte mit einer einzigen kurzen Bewegung den Augapfel aus seiner natürlichen Fassung. Dann lag das Auge auf der Nase meines Pferdes Tub und sah nackt, feucht und völlig lächerlich aus. Der Alte zog daran, bis die Sehnen sich strafften, und schnitt sie mit einer rostigen Schere ab. Der Rest schnellte in die Augenhöhle zurück. Den Augapfel in der Hand, wusste er nicht, wohin damit. Er fragte, ob ich ihn halten könne, aber ich lehnte ab. Also ging er mit dem Auge weg und kam ohne wieder. Was er damit gemacht hatte, sagte er nicht, und ich wollte es auch nicht wissen.
Dann nahm er eine braune Flasche, entkorkte sie und goss den Inhalt in die leere Augenhöhle, bis diese überlief. Es dauerte vier, fünf Sekunden, bis Tub den Kopf hochriss und, sich aufbäumend, wieherte: »Iiiiiiii!« Wobei seine Hinterläufe einen Krater in die Wand traten. Dann schaukelte er sich hoch und stand endlich schnaufend wieder auf eigenen Hufen, wenngleich noch immer ein bisschen wacklig und mit einem Auge weniger als zuvor. Der Stallmeister sagte: »Das muss brennen wie die Hölle, wenn man sieht, wie schnell er aufgewacht ist. Dabei hat er mehr als reichlich Laudanum bekommen.«
Inzwischen war Charlie wieder da und sah uns schweigend zu. Er hatte eine Tüte Erdnüsse gekauft, die er nacheinander knackte und verzehrte.
»Und was ist jetzt mit Tub?«
»Wir haben das Auge entfernt«, sagte ich. »Oder vielmehr, dieser Mann hat das getan.«
Mein Bruder kniff die Augen zusammen und zog Luft durch die Zähne. Er hielt mir die Tüte hin, und ich holte mir eine Handvoll Erdnüsse. Dem Stallmeister bot er sie auch an, zog sie aber wieder zurück, als er dessen schmutzige, klebrige Finger sah. »Besser, Sie halten einfach die Hand auf.« Er tat es und bekam seinen Anteil. Dann standen wir erst mal nur herum und aßen die Erdnüsse. Mir fiel auf, dass der Stallmeister sie ganz aß, mit Schale und allem. Zitternd stand mein Pferd Tub daneben, während der Alkohol ihm übers Gesicht lief. Dann setzte er eine große Menge Wasser ab. Der Stallmeister sagte zu mir: »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir die fünf Dollar schon jetzt geben könnten.« Ich gab ihm seine fünf Dollar, und er steckte sie in die Münztasche seines Overalls. Charlie trat näher an mein Pferd Tub heran und betrachtete die leere Augenhöhle. »Sollte man das nicht mit irgendwas verbinden?«
»Nein«, sagte der Stallmeister. »Frische Luft
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