Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
wurde.«
»Und wo wollen Sie das machen?«
»Hier im Stall, auf dem Boden. Ich gebe ihm Laudanum, dann spürt er nichts.«
»Aber wie wollen Sie das Auge entfernen.«
»Mit einem Löffel.«
»Einem Löffel?«
»Einem Suppenlöffel«, bestätigte er. »Natürlich sterilisiert. Man löffelt das Auge heraus und durchtrennt die Sehnen mit einer Schere. So war es zumindest bei der Kuh. Danach wurde die Augenhöhle mit Alkohol ausgewaschen, und davon wachte die Kuh auf. Der Doc meinte, das wäre nur wegen der zu geringen Dosis. Ihr Pferd kriegt von mir jede Menge Laudanum.«
Ich streichelte den Kopf meines Pferdes Tub und fragte: »Und eine andere Möglichkeit gibt es nicht? Keine Medizin? Er hat es, auch ohne halb blind zu sein, schon schwer genug.«
»Ein einäugiges Pferd taugt sowieso nicht mehr zum Reiten«, sagte der Mann. »So gesehen wäre es am besten, wenn Sie es an den Metzger verkaufen. Hinterm Haus bieten wir Pferde zum Kauf an. Wenn Sie sich die Tiere einmal ansehen wollen, ich mache Ihnen einen fairen Preis.«
»Nein, dann operieren wir besser. Wir müssen danach nicht mehr weit reiten. Wer weiß, vielleicht ist er mir ja trotzdem von Nutzen.«
Der Stallmeister holte die erforderlichen Instrumente und legte sie auf eine Decke, die er neben Tub auf dem Boden ausgebreitet hatte. Er brachte auch eine Schüssel mit Wasser und Laudanum. Die gab er meinem Pferd Tub zu saufen und rief mich gleichzeitig an seine Seite. Dann sagte er so leise, als könne der Gaul jedes Wort verstehen: »Wenn er anfängt zu wackeln, helfen Sie mir bitte. Wir müssen ihn dann auf die Decke schieben. Haben Sie das verstanden?« Ich sagte, ich habe verstanden, und wir warteten auf die Wirkung des Laudanums. Die trat schneller ein als veranschlagt, und dann ging alles sehr schnell, zu schnell. Mein Pferd Tub ließ plötzlich den Kopf sacken und schwankte und kippte genau gegen mich und den Stallmeister, wodurch wir gegen die Lattenwand der Pferdebox gedrückt wurden. Der Stallmeister geriet darüber augenblicklich in Panik, sein Gesicht wurde knallrot, die Augen traten hervor, während er fluchend versuchte, sich der Masse Pferd zu erwehren. Er hatte eindeutig Angst um sein Leben, worüber ich allerdings nur herzlich lachen konnte. Todesangst ist meiner Meinung nach kein Grund, sich auf eine derart beschämende Weise abzuzappeln, das machen nur Fliegen, die in einem Honigtopf gelandet sind. Der Stallmeister war also von Grund auf gedemütigt und in der Folge sauer auf mich, weil ich für so etwas nur ein Lachen übrig gehabt hatte. Hektisch versuchte er sich herauszuwinden. Ich fürchtete schon, dass er ohnmächtig werden könnte, und versetzte meinem Pferd Tub daher einen Schlag auf den Hintern, so fest, wie ich es gerade vermochte, worauf das Vieh schmerzvoll winselte und uns freiließ. Trotzdem rief der Stallmeister: »Jetzt schieben Sie schon. Sie müssen schieben, verdammt!« Ich stellte mein Lachen ein und stemmte mich mit meinem ganzen Gewicht gegen den Brustkasten meines Pferdes Tub. Die gemeinsame Anstrengung blieb nicht ohne Erfolg, irgendwann war es geschafft. Doch gegen den Selbstbehauptungsdrang meines Pferdes, das sich gerne auf vier Beinen gehalten hätte, krachte dessen massiger Leib ein weiteres Mal gegen die splitternde Lattenwand, prallte dort ab – und schwang wieder zurück! Der Stallmeister konnte mich gerade noch zurückreißen, als so viel Masse auf mich zukam und unmittelbar darauf widerstandslos zu Boden ging und den bewusstlosen Kopf genau auf der Decke ablegte. Geschafft! Der schweißbedeckte Stallmeister hingegen sah mich nur keuchend und mit abgrundtiefer Verachtung an, die Hände in die Hüften gestemmt. »Sir, können Sie mir verraten, worüber Sie sich jetzt so freuen?« Er war wirklich richtig wütend, wie er so vor mir stand, und es verlangte viel Selbstbeherrschung, nicht gleich wieder in Lachen auszubrechen. Es gelang mir, wenn auch nur knapp. Mit dem nötigen Maß Bedauern sagte ich: »Entschuldigung, aber es war einfach zu komisch.«
»Komisch? Von einem Pferd zerquetscht zu werden, das finden Sie komisch?«
»Tut mir leid, wenn ich gelacht habe«, sagte ich und setzte, um das Thema zu wechseln, hinzu: »Zumindest haben wir ganze Arbeit geleistet. Er liegt genau auf der Decke.«
Der Stallmeister schüttelte den Kopf und rotzte vernehmlich. »Sie haben nur etwas übersehen: Er liegt auf der falschen Seite! Wie komme ich jetzt an sein Auge ran?« Er spuckte aus und starrte für längere
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