Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
und ab und zu eine Spülung mit Alkohol reichen aus.«
»Das sieht irgendwie gruselig aus.«
»Dann sehen Sie nicht hin.«
»Aber man sieht automatisch hin. Können wir es nicht wenigstens mit einer Augenklappe abdecken.«
»Frische Luft und Spülungen«, sagte der Stallmeister.
»Wann ist er denn so weit, dass wir weiterreiten können?«, fragte ich.
»Kommt drauf an, wie weit Sie wollen.«
»Wir wollen zu den Schürfgebieten östlich von Sacramento.«
»Dann nehmen Sie doch die Fähre.«
»Also ich weiß nicht. Sollen wir wirklich die Fähre nehmen, Charlie?«
Charlie schlenderte inzwischen gutgelaunt durch den Stall. Worüber er so schmunzeln musste, wird sein Geheimnis bleiben, sicher ist nur, dass er mehrere Gläser Branntwein intus hatte. Wie auch immer, er hatte mich nicht gehört, und ich bestand auch auf keiner Antwort. »Vielleicht nehmen wir die Fähre«, sagte ich.
»Und wann soll es losgehen?«
»Morgen früh.«
»Und im Goldgräberlager kampiert ihr im Freien?«
»So ist es.«
»Das ist noch zu früh. Das Pferd hier braucht einen Stall«, sagte der Stallmeister nach kurzer Überlegung.
Ich tätschelte den Kopf meines Pferdes Tub. »Er schafft das schon.«
»Ich behaupte nicht, dass er es nicht schafft. Er ist ein zäher Bursche. Aber wenn es mein Pferd wäre, würde ich ihn mindestens eine Woche schonen. Mindestens.«
Charlie kehrte von seiner Wanderung zurück, und ich fragte, ob noch Erdnüsse da seien. Er drehte die Tüten um: leer. »Was ist das teuerste Restaurant der Stadt?«, fragte er den Stallmeister, der die Frage mit einem Pfiff quittierte und sich zugleich am Kopf wie am Sack kratzte.
Das Golden Pearl war ein Traum aus weinrotem Plüsch. Kronleuchter mit hundert Kerzen schwebten über jedem einzelnen Tisch. Alle Teller waren aus chinesischem Porzellan, es gab seidene Servietten und schweres Silberbesteck. Unser Kellner war eine blendende Erscheinung mit elfenbeinfarbener Haut, angetan mit einem schwarzen Smoking und blauen Gamaschen sowie einer Anstecknadel mit einem Rubin, der einen Mann nahezu blendete. Wir bestellten Steak und Wein, vorneweg einen Brandy, was ihn aus irgendeinem Grund maßlos zu freuen schien. »Sehr gern«, sagte er und notierte es demonstrativ auf seinem ledergebundenen Block. »Sehr gern!« Dann schnippte er mit dem Finger, und zwei kristallene Cognacschwenker standen vor uns. Er verbeugte sich und zog sich zurück, doch ich war überzeugt, dass er bald wieder vor uns stehen würde, um uns famos durch das gesamte Menü zu begleiten. Charlie probierte den Branntwein. »Himmel, noch mal! So muss Brandy sein.«
Ich nippte ebenfalls und fand, er war mit nichts vergleichbar, was wir kannten. Ich fragte mich sogar, ob es sich um ein und dasselbe Getränk handelte. Wie auch immer, ich nahm gleich den nächsten, größeren Schluck. So beiläufig wie möglich fragte ich Charlie: »Und wo stehen wir, was den Kommodore angeht?«
»Was meinst du?«, fragte er. »Wir erledigen natürlich unseren Auftrag.«
»Auch wenn er uns hinters Licht geführt hat?«
»Und was sollen wir deiner Meinung nach tun, Eli? Es gibt überhaupt keinen Grund, unsere geschäftliche Verbindung zum Kommodore zu beenden, ehe wir herauskriegen, was es mit diesem ominösen Leuchtenden Fluss auf sich hat. Selbst wenn wir nicht mehr für ihn arbeiteten, würde ich dieser Sache nachgehen.«
»Und wenn Warm und Morris etwas finden, willst du sie ausrauben?«
»Weiß ich noch nicht.«
»Ich nehme an, wenn sie nichts finden, werden wir sie erst recht töten.«
Charlie zuckte die Schultern, als wäre all dies nicht sein Problem. »Frag mich nicht«, sagte er. »Ich weiß es doch auch nicht.« Dann kam der Kellner mit den Steaks. Charlie säbelte sich das erste Stück ab und verging fast vor Genuss. Ich aß ebenfalls, doch mich beschäftigten andere Dinge. Ich beschloss, gleich damit herauszurücken – solange Charlie in dieser Stimmung war. Ich sagte: »Wir müssen doch nicht sagen, dass wir Morris’ Tagebuch gefunden haben. So kann uns niemand einen Vorwurf daraus machen, wenn wir unverrichteter Dinge nach Oregon City zurückkehren.«
Charlie schluckte, und um seine gute Laune war es geschehen. »Wovon redest du überhaupt, könntest du mir das bitte erklären? Zum einen: Was sollen wir dem Kommodore sagen?«
»Die Wahrheit. Dass Morris zu Warm übergelaufen ist und keiner weiß, wo sich die beiden jetzt aufhalten. Ich meine, wie sollen wir sie finden, wenn wir keinerlei Anhaltspunkte
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