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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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ist
      »Nicht ein einziges neues Industrieunternehmen – das sind immer noch Albaneses Worte – hat Fuß fassen und Arbeitsplätze schaffen können, noch haben öffentliche Aufträge den Broterwerb für die Arbeiter ermöglicht. Und darum geht es in erster Linie: um Arbeit und Brot. Langsam macht sich die Auffassung breit, daß nicht die einzelnen Personen, sondern die Institutionen selbst die Ursache dafür sein könnten; so daß, während auf der einen Seite die Feinde der Monarchie ihre Dolche zücken und die föderalistisch eingestellten Mazzini-Anhänger an den Föderalismus oder an die Regionen denken, auf der anderen Seite nicht wenige anfangen, nach der Diktatur zu schreien. Und immer neue Steuern schaffen immer größere Unzufriedenheit.«
      Als er zu Ende gelesen hatte, verstaute er das Papier sorgfältig wieder in seiner Aktenmappe und zog ein zweites hervor.
      »Und das hier ist ein Bericht des Kommandanten von Caltanissetta mit folgendem Wortlaut: Alle in dieser Gegend warten nur auf die Anarchie, die auf den kurzen Triumph der Sekten Mazzinis und der Sozialisten folgen würde.«
    »Ich würde gerne wissen …«
      Das war Cosimo Bellofiore, der die ganze Sitzung über stumm geblieben war.
    »Noch einen Augenblick«, schnitt ihm der Römer das
    moralischen und abstrakten Vorteil einmal ab, Teil einer großen Nation zu sein. Wer aber nicht weiß, wie er die eigene Familie ernähren soll, vermag darin nur einen schwachen Trost zu finden.«
      Er steckte das Blatt wieder weg, nahm die Brille ab und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augenlider.
      »Ich bin fertig, doch könnte ich mit den Kommentaren unserer Feinde, die mit den unseren identisch sind, noch lange weitermachen. Laßt uns versuchen zu begreifen: Italien ist ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht. Und die wissen das und haben Angst. Sie stecken unsere Leute ins Gefängnis, spüren unsere Waffenlager auf, beschlagnahmen sie oder stecken sie in Brand. Doch tags darauf tauchen haargenau so viele wieder auf, wie zerstört wurden. Und wir Mazzini-Anhänger hier in Vigàta wären Idioten, wenn wir uns die Gelegenheit von heute abend entgehen ließen.«
    »Welche Gelegenheit?« fragte Cosimo.
      »Die von heute abend. Vor einer Stunde, als das Volk von Vigàta gegen den Präfekten rebelliert hat.«
    »Was heißt hier ›rebellieren‹!« winkte Mazzaglia ab.
      »Das war doch nur ein kurzes Aufbegehren, eine Unmutsäußerung, die im Nu vergessen ist.«
    »Und das Volk, wie Sie es nennen«, fügte Prestìa hinzu, »hockte zu Hause. Das Publikum im Theater bestand aus Akademikern, Kaufleuten und Fischhändlern. Das Volk, keiner umhin, darüber zu reden, und das nicht nur in Vigàta. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt? Die Sache muß landesweit Aufsehen erregen.«
      »Und wie?« fragte Decu Garzìa, der sofort die Ohren spitzte. Ging es darum, Rabatz zu machen, war er immer einer der ersten. Der jeweilige Anlaß war ihm völlig schnuppe.
      Traquandi trocknete sich die Lippen und sah einen nach dem anderen an.
    »Wir müssen das Theater in Brand stecken.«
    Mazzaglia schnellte vom Stuhl hoch.
    »Soll das ein Witz sein? Bedenken Sie bitte, daß heute
    nacht auch noch starker Wind bläst, vorausgesetzt, wir wären uns tatsächlich einig, das Theater niederzubrennen.«
    »Was soll das heißen, es bläst Wind?«
      »Die Flammen können auf die anderen Häuser übergreifen, in denen Leute schlafen.«
    »Was scheren mich die Leute, die schlafen? Wenn es Tote gibt, um so besser! Dann erregt die Sache noch größeres Aufsehen.«
    »Sie wissen, wie ich darüber denke«, sagte der Präfekt Bortuzzi streng und lehnte sich mit finsterem Gesicht in seinem Sessel zurück. Die Rede mit vielen so und so nicht, die sein Gegenüber ihm seit einer halben Stunde freundlich, aber bestimmt, und ohne auch nur einen Millimeter von seiner Position abzuweichen, hielt, gefiel ihm nicht.
      »Piemonteser!« sagte sich Bortuzzi. »Er ist und bleibt ein falscher, scheißfreundlicher Piemonteser.«
      »Und Sie wissen Ihrerseits bestens, wie ich die Sache sehe«, erwiderte knallhart der Oberst Aymone Vidusso, Kommandant von Montelusa, und fuhr fort, den Blick fest auf Bortuzzi geheftet: »Was zur Zeit geschieht, halte ich für völlig sinnlos.«
      Wenn der Präfekt wollte, daß Latein gesprochen wird, wie die Sizilianer sagen, dann würde er ihm den Gefallen tun. Seit Anbeginn ihrer Unterredung hatte Seine Exzellenz nicht begriffen

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