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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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das ganze Publikum auf einmal das Bedürfnis auszutreten. Zwei oder drei Damen »Wohin gehen Sie?«
      »Ich begleite meine Frau zum Pissen. Haben Sie etwas dagegen?«
    »Ja. Der Präfekt will das nicht.«
      »Laß uns darüber reden«, erwiderte der Restuccia ruhig und zog am Griff seines Spazierstocks. Heraus kam eine vierzig Zentimeter lange Schneide. Es war also kein Spazierstock, sondern ein ganz scharfer Stoßdegen.
      »Bitte sehr, die Herrschaften«, sagte der Soldat, den Weg freigebend.
      In der Zwischenzeit hatte sich der Bürgermeister auf Anraten des Präfekten hin erneut erhoben und gestikulierte, um sich Gehör zu verschaffen.
      »Meine Mitbürger!« sagte er. »Alle, die mal müssen, erklären das den Soldaten und lassen sich von ihnen auf den Abort begleiten.«
      Das halbe Theater war mit einem Schlag leer, und vor den Toiletten brachen Streitereien und Raufereien um den Vortritt aus. Endlich begann der dritte Akt. Das Bühnenbild zeigte die Galerie eines Schlosses, an deren Ende man durch eine breite Tür in den Thronsaal blickte. Alle sangen, daß sie die Ankunft des Königs erwarteten.
    »Was für ein König denn?« fragte Frau Restuccia, die mit erleichtertem Leib jetzt Interesse für die Dinge der Kunst und des Lebens verspürte.
    Dem kühnen Siegeshelden!
    Dank seiner ward England
    von langem Krieg befreit«,

    sangen unterdes dieselben, die zuvor als Bierbrauer, dann als Soldaten aufgetreten waren und jetzt zwar alle prächtige Adelsgewänder, doch immer noch die gleichen Gesichter hatten. Besorgt sah Puglisi zur Galerie in Richtung Lollò Sciacchitano, doch der hatte jetzt mit einem Platznachbarn einen Wortwechsel und bekam nicht mit, was auf der Bühne vor sich ging.
      Im Theater war die Stimmung, wer weiß warum, mit einemmal ruhig und heiter geworden. Vielleicht waren die Leute es leid, zu reden und zu lachen, und warteten jetzt mit Engelsgeduld auf das Ende des Stücks. Die Wut des Präfekten war ein wenig verdampft. Villaroel war an seiner Seite und hielt den Oberkörper gebeugt, da sein riesiger Helmbusch sonst an die Decke der Königsloge stieß. Und auf der anderen Seite saß Don Memè mit einem breiten Lächeln übers ganze Gesicht, sein Mund sah aus wie ein aufgebrochener Granatapfel. Zwischen ihm und Seiner Exzellenz thronte jedoch steif wie eine Gipsfigur die Präfektin Donna Giagia. Der Bürgermeister, der letzte Gast in der Loge, hielt sich den Kopf und bewegte still die Lippen. Er betete.
    Puglisi verließ das Parkett, ohne von den Soldaten, die ihn jetzt wiedererkannten, angehalten zu werden, machte ehemals weißen Taschentuch über die Stirn fuhr.
      »Guten Abend, ich bin der Kommissar Puglisi. Dauert es noch lange bis zum Ende?«
      »Sagen wir, eine halbe Stunde. Aber ich bin in großer Sorge.«
    »Ich auch«, erwiderte Puglisi.
      »Ich habe Bedenken wegen Maddalena, der Sopranistin, die die Effy singt. Sie ist sehr nervös geworden, wissen Sie? Wegen all dem, was im Theater geschieht. In der Pause ist sie in Ohnmacht gefallen, und ich habe ihr Riechsalz geben müssen. Dann wollte sie nicht wieder auf die Bühne kommen. Ich weiß nicht, ob sie es bis zum Ende durchsteht.«
      »Das hat gerade noch gefehlt. Verzeihen Sie, aber mit wem habe ich die Ehre?«
      »Ich bin der Impresario. Mein Name ist Pilade Spadolini. Ich bin der Neffe Seiner Exzellenz Bortuzzi, des Präfekten.«
      »Es bleibt alles in der Familie«, dachte Puglisi, sagte aber nichts.
      »Sehen Sie, jetzt kommt der kritischste Augenblick: das Duett zwischen Effy und Anna, hier ist Maddalena am meisten gefordert.«
    »Nun, was meint Ihr also?« sang Effy in streitlustigem Ton an die Adresse der anderen Frauensperson, Anna, und meinte dann, ihr den Rücken zugekehrt, zum Publikum Seiten gestützt, mit feurigem Auge an.
    »Vielleicht ja, vielleicht nein. Ha, ha!«
       »Ihr lacht also?« fragte Anna baß erstaunt und wütend zugleich.
       »Ja, ich lache, weil Ihr noch immer nicht überzeugt seid«, sang Effy, immer entschlossener, ihr Gegenüber in den Wahnsinn zu treiben.
    »Nein! Nein!« wehrte die andere verzweifelt ab.
    »Ich gebe euch einen Rat zu Eurem …«
      Das Wort, das Effy noch sagen wollte, war Wohl, »zu Eurem Wohl«, doch da die Musik es zuließ, hielt sie zwischen »Eurem« und »Wohl« inne, pumpte Luft in die Lungen, um einen hohen Ton auszustoßen, und öffnete den Mund.
    Genau in diesem Augenblick schlief der Soldat Tinuzzo Bonavia, der unter

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