Die sizilianische Oper
zu gehen, die anderen, um draußen eine Zigarre zu rauchen, oder die Damen, um ein Schwätzchen zu halten … als plötzlich wie eine von unsichtbarer Hand gelenkte Marionette der Hauptmann Villaroel in Galauniform mit Federbusch, Handschuhen und Paradesäbel auf der Bühne auftauchte. Er erhob die Hand und gebot den Theaterbesuchern Einhalt.
»Ich bitte einen Augenblick um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit«, begann er.
Bei dem unerwarteten Anblick fuhr allen ein Schreck in die Glieder, und wie gelähmt blieben sie stehen.
»Auf Befehl Seiner Exzellenz des Präfekten Bortuzzi und um Störungen der öffentlichen Ordnung zu vermeiden, sind alle Anwesenden gehalten, im Saal zu bleiben. Das bedeutet auch, nicht auf die Korridore hinauszutreten. Keiner darf seinen Platz verlassen.«
»Seine Exzellenz der Präfekt fordert alle Bürger von Vigàta auf, diesem …«
Er hielt inne. Bestürzt stellte er fest, daß ihm das richtige Wort fehlte.
»Schwachsinn?« kam ihm ein Zuschauer aus der Galerie zu Hilfe.
»Oder Scheißdreck?« legte ein anderer aus dem Parkett nach.
Doch Villaroel hatte die Sprache wiedergefunden und setzte erneut mit fester Stimme am Anfang seiner Rede ein.
»Seine Exzellenz der Präfekt fordert alle Bürger von Vigàta auf, dieser Oper aufmerksam zu folgen und alles zu unterlassen, woran der oberste Vertreter des Staats, der hier persönlich anwesend ist, Anstoß nehmen könnte.«
Er wandte sich zum Gehen. Im selben Augenblick sprang Puglisi behend wie ein Wiesel mit einem Satz über zwei Sitzreihen hinweg und stürzte sich auf Mommo Friscia, der, wie er eine Sekunde zuvor bemerkt hatte, dabei war, seine Lungen vollzupumpen, und so ein Gesicht rund wie eine Melone bekommen hatte. Er schaffte es gerade noch, Mommo die Hand auf den Mund zu pressen, um zu verhindern, was dieser zu tun beabsichtigte.
Mommo Friscia war für seine Furzlaute bis weit über die Grenzen der Stadt berühmt. Sie waren gewaltig und brutal wurde. Nicht daß Mommo sein politischer Gegner gewesen wäre, nein, der machte es nur so, um der Sache selbst willen. Je feinsinniger, wohlklingender und eindringlicher die Worte eines Redners waren, um so ungestümer überkam Mommo das Verlangen, diese unanständigen Geräusche zu erzeugen. Von jenem legendären Furzer auf der Wahlversammlung hatte sich Sammartano nie mehr erholt; eine Art Schock überkam ihn jedesmal, wenn er in der Öffentlichkeit den Mund aufmachte: er wurde völlig wirr im Kopf und begann zu stottern.
In diesem Augenblick inmitten des Aufruhrs, der im Theater herrschte, hätte ein Furzlaut aus Friscias Mund den Trompetenstoß zur Revolution bedeutet. Puglisi hielt die Hand auf seinen Mund gepreßt, bis er keine Luft mehr bekam und blau anlief. Dann erst gab er ihn frei und spürte seine Handfläche brennen, als hätte er die Zündschnur einer Bombe angefaßt. Ein gewaltiger Chor drang an sein Ohr, der aber nicht von den Sängern, sondern aus dem Publikum kam.
»Wasser! Wasser! Wasser! Feuer!«
Erstaunt blickte er auf die Bühne. Villaroel konnte nicht den Spalt in der Mitte des Vorhangs finden, der ihm einen glimpflichen Abgang erlaubt hätte.
Er ging nach rechts (Wasser! Wasser!), dann nach links (Wasser! Wasser!), und nur wenn er sich in der Mitte befand, hörte er die Leute »Feuer, Feuer« schreien. Doch Bravo!«-Rufe mischten. Der Bürgermeister von Vigàta, der den Spott seiner Mitbürger mehr fürchtete als eine Schießerei, erhob sich mit einem Gesicht, das wächsern war wie eine Totenmaske.
»Meine lieben Mitbürger!« begann er mit zitternder Stimme. »Ich bitte euch, ich flehe euch an, im Namen Gottes …«
Er kam nicht weiter. Der Präfekt packte ihn unter den Augen aller am Ärmel und zwang ihn, sich wieder hinzusetzen.
»Was fällt Ihnen bloß ein, verdammt noch mal! Wen zum Teufel bitten Sie da? Das sind Leute, gegen die man mit Waffengewalt vorgehen muß. Seien Sie so gut und halten Sie das Maul!«
Deutlich war zu hören, wie hinter dem Samtvorhang eilig die Kulissen gewechselt wurden. Selbst das schwere Tuch konnte Stimmengewirr, Flüche, schnelle Schritte und Gehämmere nicht dämpfen. Im Saal schien sich alles beruhigt zu haben, als erneut die dröhnende Stimme Lollò Sciacchitanos zu vernehmen war.
»Ich muß pissen! Ich muß auf den Abort, und die lassen mich nicht gehen, diese Hornochsen von Soldaten! Ich werde jetzt aufs Parkett runter pinkeln!«
Wie auf Kommando verspürte
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