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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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habe. Händigen Sie mir umgehend den Haftbefehl aus, und zwar schriftlich und mit dem Datum versehen.«
      Meli quälte sich von seinem Stuhl hoch, als wäre ihm der Hintern festgewachsen, klopfte an die Tür des Polizeipräsidenten und trat ein.
    »Cavaliere, Puglisi ist in meinem Zimmer.«
    »Was will er?«
    »Er verlangt umgehend den Haftbefehl für jenen Mazzini-Anhänger Traquandi, der in Vigàta untergetaucht ist.«
      »Cavaliere, wenn der Römer es gewesen ist, und Puglisi täuscht sich nur selten, wird er uns die Schuld geben, weil wir diesen nicht früher verhaftet haben.«
      »Scheiße!« meinte der Polizeipräsident, der endlich begriffen hatte.
    »Und es gibt auch zwei Tote in dieser Angelegenheit.«
    »Waren es nicht drei?«
      »Ja, gewiß, aber der dritte Tote, der Arzt Gammacurta, ist nicht uns anzulasten. Auf den hat einer der Männer von Villaroel geschossen. Der geht auf das Konto des Präfekten.«
      Der Polizeipräsident sah Meli an, klapperte mit den Augendeckeln und machte ein fragendes Gesicht.
      »Hören Sie, Meli, sind Sie sich wirklich sicher, daß die Anweisung, die Verhaftung aufzuschieben, von mir kam? Sie haben meine Worte nicht etwa falsch verstanden?«
      Die alte Geschichte. Aber dieses Mal machte Meli nicht mit, das Risiko war einfach zu groß.
      »Cavaliere, Sie mögen mir verzeihen, aber ich erinnere mich sehr gut: der Amtsschreiber hatte den Haftbefehl nämlich schon ausgefüllt, und ich habe ihm dann die Anweisung gegeben, ihn zu vernichten, da Sie anders beschieden hatten.«
      Nun, der Cavaliere hatte es halt versucht. Und änderte seine Taktik.
    »Was kann man jetzt tun?«
    die Arme baumelten schlaff an den Beinen herunter.

    Wenn ein Reisender in einer Winternacht, die von sich aus schon schlimm ist, mit Regen, Donner, Blitzen und Sturm über die Piazza gekommen wäre, wo das neue Theater von Vigàta stand, und die Zerstörung gesehen hätte – die Straßenlaternen waren umgeworfen, die Beete zerstört, die Scheiben zerschlagen, berittene Soldaten stieben in alle Richtungen davon, Pferdekutschen mit Verletzten oder ohnmächtigen Damen kamen und gingen – und die Schüsse in der Ferne, die jammernden oder wütenden Stimmen, die Gebete, die Hilferufe, die Flüche gehört, hätte er sofort seinem Pferd die Sporen gegeben, um das Weite zu suchen. Denn was er sah, hätte er zu Recht für eine neue Achtundvierzigerrevolution gehalten. Nie und nimmer hätte er sich vorstellen können, daß dieser Wahnsinn, dieses Chaos, diese Zerstörung durch einen falsch gesungenen Ton aus dem Mund eines Soprans verursacht worden war. Es war ein schrecklicher, grauenhafter falscher Ton, das ist wahr. Alle glaubten, es sei plötzlich ein Dampfschiff mit tutendem Nebelhorn ins Theater eingedrungen, und es war noch zu bedenken, daß jemand zur gleichen Zeit einen Schuß aus einem Karabiner abgegeben hatte. Aber das, was in Wirklichkeit die wilde Massenflucht heraufbeschworen hat, verdankte sich der Fähigkeit des Theaterbauers. Dessen Überlegung war gewesen: ein Theater ist dazu da, daß einer, der darin ist, alles hört, was gesungen und gespielt wird. Und so Schuß und dem Nebelhorn (oder umgekehrt), da sie aufgrund des Verlaufs des Abends sowieso schon nervös waren, alle zugleich ihrer Instrumente entledigt, um besser davonlaufen zu können. Es waren zahlreiche Instrumente – Kontrabaß, Fagott, Trompete, Geigen, Pikkoloflöten, Pauke, Trommeln. Und diese Instrumente, die zuerst in die Luft geworfen wurden und dann zu Boden fielen, verursachten einen gewaltigen Lärm, und zwar genau in dem Teil des Theaters, der mystischer Golf oder so ähnlich genannt wird und dazu bestimmt ist, den Klang der Orchestermusik zu verstärken. Das tat der mystische Golf auch in dieser Situation, allerdings ohne zu wissen, daß es sich gar nicht um Musik handelte. Alle waren deshalb überzeugt, daß das Theater sich mit einem Schlag und ohne ersichtlichen Grund anschickte, im Erdboden zu versinken.
      Don Memè Ferraguto hatte sich weder beim Falschsingen noch bei dem Schuß gerührt. Doch bei diesem magischen und ungeheuerlichen Geräusch, das von der Bühnenseite kam, spürte er, wie in seinem Inneren alles in Aufruhr geriet.
    »Es ist eine Bombe!« schrie er.
    Er packte die völlig benommene Präfektin, hob sie in die Höhe, trug sie in den hinteren Teil der Loge und lehnte sie dort gegen die Wand. Unterdes zückte der Hauptmann Villaroel aus lauter Übermut mit heftiger Bewegung sein

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