Die Skelettbande
hat«, brachte es Tim auf den Punkt.
»Sollen wir Paps
verständigen?«, wollte Gaby wissen.
Tim schüttelte den Kopf. »Nein.
Lass uns noch warten. Wir müssen zuerst herausfinden, was die vier
Paketempfänger mit der Sache zu tun haben. Ich glaube sie sind der Schlüssel
zur Lösung des Falls.«
Karl stimmte ihm zu.
Gedankenverloren rührte er mit dem langen Löffel in seinem Eis herum, das
mittlerweile geschmolzen und nur noch eine pappige Soße war. Dann stellte er
die alles entscheidende Frage: »Wer sind eigentlich die Mitglieder dieser Skelettbande ?«
Der Friedhof hatte nicht den
Charme einer alten Ruhestätte
mit prunkvollen Grabdenkmälern, sondern bestand aus zweckmäßig angeordneten
Reihengräbern. An diesem Vormittag war es sehr ruhig. Nur einige wenige
Besucher schleppten grüne Gießkannen zu den Gräbern ihrer Angehörigen, um dort
die Blumen zu gießen.
Helga Becker ging durch das
Eingangstor und lenkte ihre Schritte zum hinteren Teil des Friedhofes, der an
ein kleines Wäldchen grenzte. Dort war es schattig und auch ein wenig
unheimlich, weil die alten Eichen das Licht schluckten. Vor einem der Gräber
stand regungslos ein Mann. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und sprach leise
ein Gebet. Helga hielt einen kurzen Moment inne, um den Betenden nicht zu
stören. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung.
Der Mann drehte sich auch jetzt
nicht um, obwohl er das Knarzen von Schritten auf dem Kies hörte. Er wusste
genau, wer sich da näherte. Die Anwesenheit von Helga Becker störte ihn nicht.
Im Gegenteil: Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er diese tiefe innere Verbundenheit
gespürt, und selbst die lange Trennung während der Zeit seines Studiums in
einer anderen Stadt konnte sie nicht auseinanderbringen. Sie verbrachten
glückliche Jahre miteinander. Anfangs wusste sie nichts von der schrecklichen
Geschichte mit seiner kleinen Schwester. Aber mit der Zeit konnte er es nicht
mehr länger vor ihr verbergen, weil Wut und Trauer immer wieder in ihm
hochkamen.
Als er ihr schließlich
erzählte, was geschehen war, erwachte in ihr der Hass gegen diejenigen, die für
das zerstörte Leben ihres Freundes verantwortlich waren. Sie sehnte den Tag
herbei, an dem sich die grausame Fessel lösen würde, die sein Herz und seine
Seele gefangen hielt.
Und jetzt stand sie ganz dicht
hinter ihm. Er konnte ihren Atem hören und spürte, wie sie sanft ihre Hand auf
seine Schulter legte.
»Morgen ist es so weit, mein
Schatz! Dann verschwinden die schrecklichen Schatten«, sagte sie mit sanfter
Stimme.
Er drehte sich langsam zu ihr
um und küsste sie zärtlich auf die weichen Lippen. Sie schmiegte sich eng an
ihn. Von Weitem sahen die beiden einen Moment lang aus, wie ein in Stein
gehauenes Liebespaar.
Um das Grab, auf dem Unkraut
rankte, hatte sich schon lange keiner mehr gekümmert. Die älteren
Familienangehörigen waren bereits verstorben, die jüngeren aus der Stadt
weggezogen. Er machte sich Vorwürfe, dass er so lange nicht mehr hier gewesen
war. Aber er hatte es einfach nicht über sich gebracht, sich der Vergangenheit
zu stellen, jetzt, da er wieder vor dem Grab stand, traf ihn die Erinnerung mit
voller Wucht. »Annika«, stammelte er, »sie war noch so jung. Warum musste das
passieren?« Dann brach es aus ihm heraus und er fing laut zu schluchzen an.
Tränen liefen seine Wangen hinunter.
Helga nahm behutsam seinen Kopf
in ihre Hände und streichelte ihn. »Sie werden dafür bezahlen!« Während sie das
sagte, starrte sie an ihm vorbei auf den schlichten Grabstein, auf dem der Name
der Toten und ihre Lebensdaten standen: Annika Glanz. Geboren am 13.4. 1970.
Gestorben am 16.4.1983. Einen Tag nach ihrem Geburtstag. Sie war 13 Jahre
alt geworden.
Schon wieder war der Wagen
abgesoffen! Wütend schlug
Jochen Körberlein mit seiner Faust auf das Lenkrad. Er drehte den Schlüssel
erneut. Der Motor begann zu stottern und zu würgen, doch dieses Mal sprang er
an. Jochen Körberlein drückte das Gas ganz durch, sodass die Reifen
quietschten, und fuhr los. Seine Frau winkte ihm vom Fenster ihres Hauses aus
nach.
Auf den Straßen war heute Abend
wenig Verkehr. Es war schon nach acht und die meisten Menschen saßen mit ihren
Familien beim Abendessen. Für gewöhnlich tat Jochen Körberlein das um diese
Zeit auch, aber heute hatte er etwas anderes vor. Er hatte seiner Frau
vorgelogen, dass er noch einen wichtigen Klienten treffen müsste. Es könne spät
werden, hatte er gesagt.
In Wahrheit
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