Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Hass ist ebenso unergründlich wie unversöhnlich. Irgendwie wird sie den rechten Moment abwarten und dafür sorgen, dass ihre Rivalin und der Rivale ihres Sohnes den Tod finden, genau so, wie sie es beim Großwesir gemacht hat: durch Gift, durch Mord, durch Intrigen. Oder aber durch vodoun , ihre rituelle Magie. Ich schaudere.
Im Gesandtschaftssaal wird eine Audienz für Sir James Leslie, den englischen Gesandten, abgehalten. Der Saal platzt aus allen Nähten, so viele Würdenträger sind in ihrer prächtigsten Aufmachung erschienen. Ismail ist von zahllosen Fächer schwenkenden Dienern umringt. Seine aktuelle Lieblingskatze, die elegant gestreifte Eïda, hat sich entspannt auf seinem Schoß drapiert, von wo sie mit ihren meergrünen Augen alles kühl mustert. Ich setze mich mit meiner Schreibschatulle und dem offiziellen Protokollbuch zu Füßen des Sultans, doch kurz darauf erscheint Samir mit einem Pergament und Schilfrohr unter dem Arm und setzt sich auf die andere Seite. Einen Augenblick lang mustern wir uns derart feindselig, als wollten wir einander mit den Schilfrohrspitzen töten. Dann werfe ich Ismail einen empörten Blick zu.
Er lacht über mein Gesicht und tätschelt mir den Kopf, als wäre ich seine Katze. »Zwei Schreiber sind besser als einer.«
»Aber er kann nicht einmal Englisch sprechen, geschweige denn schreiben!«, rufe ich aus und höre mich selbst für meine eigenen Ohren wie ein schmollendes Kind an. »Was nutzt er bei dieser Aufgabe?«
»Von mir aus kann Samir die Lieder der turtelnden Tauben mitschreiben«, lacht Ismail. »Wenn der englische Gesandte den Eindruck gewinnt, dass ich von gelehrten Männern umgeben bin, wird er sich sorgfältiger überlegen, was er sagt, und sein König wird uns mit dem Respekt behandeln, den wir verdienen.«
Sir James Leslie sieht kräftig aus, mit rosigen Wangen und untersetzter Figur, langweilig, aber angemessen gekleidet mit einem knappen blauen Jackett, ockerfarbener Weste und dunkler Reithose. Die Perücke unter dem federgeschmückten Hut ist schmutzig braun und fällt in wirren Locken bis auf seine Schultern. Er trägt, soweit man sehen kann, keine einzige Schleife, auch das ein Unterschied zu seinem schwächlichen Emissär.
Aus unerfindlichen Gründen, vielleicht wegen des rein äußerlichen Gegensatzes, hegt Ismail von Anfang an Abneigung gegen den Mann und winkt ben Hadou zu sich. »Sag ihm, dass er aus Gründen des Respekts in Anwesenheit Seiner Majestät nicht nur den Hut, sondern auch die Perücke absetzen muss!«
Die Botschaft wird pflichtschuldig überbracht. Nach einer langen, grantigen Pause gibt der Gesandte nach. Unter der Perücke ist sein Schädel stellenweise mit grauem Flaum bedeckt. Er macht den Eindruck, als fühle er sich unbehaglich, als grolle er, hält sich aber zurück. Dann tauschen die beiden die bei einem Staatsbesuch notwendigen Begrüßungsfloskeln und Artigkeiten aus.
Anschließend werden die unterdessen eingetroffenen Geschenke des Gesandten präsentiert, obwohl er vielleicht besser ohne sie gekommen wäre, denn Ismail beeindrucken sie wenig. Nach der langen Verzögerung – über zwei Monate – hat er alle möglichen Raffinessen erwartet, den Inbegriff von englischem Luxus und englischer Handwerkskunst. Doch jetzt legt man ihm Ballen von Brokat und Seide zu Füßen, die auf der Reise gelitten haben, stockfleckig und vom Salzwasser gezeichnet sind. Die englischen Musketen explodieren, als sie probeweise abgefeuert werden. All das macht Ismail wütend und versetzt den armen Sir James keineswegs in bessere Laune. Er putzt seinen Leutnant herunter, weil er die Musketen nicht geprüft hatte, bevor er sie überreichte, und als ich dessen hilfloses Gesicht sehe, frage ich mich, ob sie Marokko für dermaßen zurückgeblieben hielten, dass moderne Waffen hier unbekannt sind – obwohl wir die Mauern ihrer Festungen in Tanger nun schon seit Jahren mit unseren Kanonen bombardieren und ihre Tunnelanlagen mit unserem Schießpulver in die Luft jagen –, oder ob sie glaubten, der Sultan sei ein Spielzeugkönig statt der Herrscher über ein Heer von Kriegern.
Als Nächstes sind ein halbes Dutzend Galway-Pferde zu inspizieren, die für die königlichen Ställe bestimmt sind und wegen ihrer edlen Herkunft sowie der Länge und Qualität ihrer Schweife ausgesucht wurden. Auf den ersten Blick wirken sie sehr anmutig, und zumindest hat sich jemand die Mühe gemacht, sie zu striegeln, bevor sie übergeben werden. Mähnen und Schweife
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