Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
»Darüber weiß ich nichts. Ich muss mich jetzt um den Sultan kümmern.«
Ich spüre seinen Blick auf meinem Rücken, bis ich außer Sichtweite bin.
Der Junge ist tot. Doktor Friedrich findet seinen Puls nicht mehr, und als der Sultan eintrifft, ist Momos Körper kalt. Aberglaube hält ihn davon ab, sich der Leiche zu nähern. Er starrt sie nur an, als könne er nicht begreifen, dass sein Sohn, den er gestern noch lachend und schreiend auf den Schultern durch den Palast trug, jetzt dort liegt, reglos und still. Dass er nie wieder lachen oder schreien wird.
Der Körper wird ordnungsgemäß gewaschen, parfümiert, in ein weißes Leichentuch gehüllt und zur Moschee getragen. Der Imam nimmt ihn in Empfang. Noch nie habe ich den Sultan weinen sehen, doch er ist untröstlich, und als die Zeit gekommen ist, den Jungen zu begraben, erklärt er, dass er nicht mit ansehen könne, wie so viel Schönheit der Erde übergeben wird, daher bekomme ich den Auftrag, zusammen mit den Kaids und den Hofbeamten die Bestattung zu überwachen. Momos kleiner Körper wird in sein schmales Grab gelegt, das Gesicht gen Osten gewandt, der heiligen Stadt zu, die er nun niemals zu sehen bekommen wird.
Auch in der Frauenmoschee werden Gebete gesprochen, doch wie ich später erfahre, ist Alys derart von Schmerz überwältigt und ihr Verhalten so unberechenbar, dass man es für besser hält, wenn sie in ihren Gemächern bleibt, wo sie brüllt wie ein Tier, ihre Kleider zerreißt und sich die Wangen blutig kratzt. Als ich am nächsten Tag in den Harem komme, sind überall noch Spuren ihres Anfalls zu sehen. Hier ein Fetzen Stoff, dort ein wenig Blut, als sei sie derart verflucht, dass niemand die Spuren beseitigen will.
Mein Herz sehnt sich danach, sie zu sehen, doch als ich frage, erfahre ich, dass sie sich in ihren Gemächern eingeschlossen hat und niemanden empfangen will. Sie habe ihren Verstand verloren und sei wieder in ihren früheren animalischen Zustand zurückgekehrt, was jeden guten Muselmanen beschämen muss und von ihrer ungläubigen Seele zeugt.
Einen Tag bevor die Gesandtschaft nach England aufbricht, ruft mich Zidana zu sich. Sie ist bester Laune und strahlt wie die Sonne. Der Sohn des Weißen Schwans sei eines natürlichen Todes gestorben, an einem Herzfehler, den er von Geburt an gehabt haben muss, daher falle auf sie kein Verdacht. Der Sultan habe tatsächlich die letzte Nacht mit ihr verbracht – obwohl ich nicht angewiesen wurde, einen Eintrag ins Diwanbuch vorzunehmen – und habe nicht einmal verlangt, den Weißen Schwan zu sehen, erzählt sie mir mit sichtlicher Genugtuung. Offensichtlich sei ihm der Sohn viel wichtiger gewesen als dessen Mutter.
Sie gibt mir einen Beutel aus Kalbsleder, gefüllt mit Münzen und Edelsteinen für das Elixier, das ich ihr mitbringen soll, oder um dessen Hersteller zu überreden, nach Meknès zu kommen. Als ich ihn entgegennehme, schließt sich ihre Hand um die meine. »Danke, Nus-Nus. Trotz unserer jahrelangen Schwierigkeiten hast du dich als wahrer Freund und treuer Sklave erwiesen.«
Als ich sie verlasse, fühle ich mich elend.
Vor meiner Abreise mit ben Hadou habe ich noch eine Aufgabe zu erledigen, doch zuerst muss ich meine Pflichten am Hof abschließen und die Führung des Diwanbuches in die Hände eines anderen übergeben. Davor graut es mir. Zwischen Samir Rafik und mir herrscht Feindschaft. Um nichts auf der Welt möchte ich mit ihm zu tun haben und kehre bedrückt zu meinem kleinen Zimmer zurück. Doch der Mann, der dort auf mich wartet, ist nicht Rafik, es ist nicht einmal ein Mann, sondern ein wenig ansehnlicher Knabe, dessen blasse Haut an einen Fassi gemahnt. Er stellt sich als Aziz ben Faoud vor und hat sogar daran gedacht, seine eigene Tinte, Schilfrohr und eine Schreibschatulle mitzubringen. Während ich ihm seine Pflichten erläutere, überraschten mich seine Ehrerbietung und schnelle Auffassungsgabe. Er hat eine elegante, präzise Handschrift. Aufmerksam hört er sich jedes Wort an und bewältigt die Aufgaben, die ich ihm erteile, sicher und ohne Getue.
Er beobachtet mich, während ich nach Momos Geburtseintrag suche und an die Stelle, die für solche Ereignisse freigelassen wird, schreibe: »Emir Mohammed ben Ismail wird für tot erklärt, dritte Woche, fünfter Tag, Dhu al-Qi’dah 1091, Gott sei mit ihm.«
»Armer kleiner Junge«, sagt Aziz leise. Und ich bin verwundert, Tränen in seinen Augen zu sehen.
Er nimmt das Diwanbuch ehrfürchtig entgegen, fährt mit
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