Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
einen Augenblick stand, dann tritt er zur Seite und lässt mich hinein. Ich eile durch die Gänge in die Richtung, aus der der Lärm kommt. Es sind Alys’ Gemächer, und mir dreht sich der Magen um.
Im Hof vor den Gemächern des Weißen Schwans stehen weinende Frauen. Ich bekomme Alys’ kleine Sklavin Mamass zu fassen. Ihre Augen sind so verquollen, dass sie kaum sehen kann. Ihre Nase läuft. Sie vergräbt das Gesicht in meinem Gewand, während ihr ganzer Leib vor Schluchzern bebt. Ich schiebe sie etwas von mir weg. »Was ist passiert, Mamass?«
Ihr Mund will ein Wort bilden, fängt dann aber an zu zittern. »Es … es … ist … Mo…mo.«
»Was ist mit Momo?« Doch ich weiß es bereits. Ich schiebe das Mädchen beiseite und betrete Alys’ Gemächer. Im Innern ist es fast dunkel. Der Kontrast zwischen dem hellen Winterlicht draußen und der Finsternis in den Räumen ist so groß, dass ich blinzeln muss. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, erkenne ich das kleine Wesen auf dem Diwan, ein Arm hängt schlaff herunter, daneben eine schreiende Alys. Ihr Schleier ist nur noch ein Fetzen, das blonde Haar darunter lose und zerzaust, wie das bleiche Strohnest einer Ratte. Das Gesicht, das sie mir zuwendet, ist eine Maske aus Blut und verschmiertem Khol, aus der mich die Augen einer Wahnsinnigen anstarren. Einen Moment lang verstummt ihre Totenklage, dann schnappt sie nach Luft und schreit doppelt so laut weiter.
Ich knie neben dem Diwan nieder und nehme Momos kleine Hand in meine. Sie ist noch warm. Es sieht so aus, als schliefe er, sein Kopf ist nach hinten geworfen, der Mund offen, als atmete er durch ihn. Nur dass er überhaupt nicht atmet. Ich schüttele ihn. »Momo! Momo!«
Keine Reaktion, natürlich nicht.
Ich laufe in den Innenhof und Zidana in die Arme. »Hat jemand nach dem Arzt gerufen?«
»Nicht nötig.« Sie sieht ernst aus, kann jedoch die Schadenfreude in ihren Augen nicht verbergen. »Dafür ist es viel zu spät.«
»Ich gehe ihn holen. Ist der Sultan benachrichtigt worden?«
Jetzt lächelt sie breit. »Vielleicht möchtest du die Ehre haben?«
Ich möchte nicht, doch es ist meine Pflicht. Im Laufschritt verlasse ich den Harem.
Doktor Friedrichs Sanatorium liegt auf dem Weg zu den Gemächern des Sultans. Ich hämmere laut an die Tür und trete ein, ohne auf eine Reaktion zu warten. Eine winzige geschundene Kreatur liegt mit ausgestreckten Gliedern auf einem Tisch, rot und glänzend. Der Arzt steht mit einem Skalpell in der Hand über sie gebeugt. Als er mich sieht, erschrickt er. Ich erinnere mich kurz an das schlagende Herz der Fetischpuppe und sage hastig: »Ihr werdet im Harem gebraucht. Prinz Mohammed ist tot und seine Mutter kurz davor, sich aus Verzweiflung umzubringen. Ich muss zum Sultan.«
Noch ehe er mich etwas fragen kann, bin ich wieder draußen und renne durch die Gänge. Das Klatschen meiner nackten Sohlen hallt von den Marmorsäulen wider.
Der Herrscher ist in ein Gespräch mit ben Hadou vertieft. Das Einzige, was ich verstehe, ist »tragbare Zwölf-Zoll-Geschütze«, was mir nichts sagt. Sie sehen erschrocken auf, als ich einfach hineinplatze, doch als sie erkennen, dass ich es bin, entspannen sich ihre Gesichter. Ich werfe mich nieder in der Hoffnung, Ismail werde den Überbringer schlechter Nachrichten nicht töten. »Ich habe schreckliche Nachrichten, Erhabener Herr. Emir Mohammed, Sohn des Weißen Schwans, ist tot.«
Nach den Worten breitet sich fassungslose Stille im Raum aus. Ich höre, wie mein rasendes Herz gegen die kalten Kacheln pocht. Bumm. Bumm. Bumm. Der Sultan stößt einen Schrei aus, und ich sehe, wie seine Füße an mir vorbeischweben, ein verwischter Streifen Gold und Grün, und schon ist er verschwunden. Ich hebe den Kopf. Ben Hadou starrt mich unverwandt an.
»Keine leichte Aufgabe, diese Nachricht zu überbringen.«
»In der Tat nicht, Sidi«, entgegne ich und stehe auf. »Armer Junge.«
»Sein Vater vergöttert ihn.«
»So wie wir alle.«
»Vielleicht hat irgendwer ihn nicht so sehr gemocht wie wir.«
Wir blicken uns in die Augen. Dann sage ich: »Die Ursache für den Tod des Kleinen ist mir nicht bekannt, aber irgendwelche Anzeichen von Gewalt habe ich nicht feststellen können.«
»Es gibt … gewisse Mittel, die keine Spuren hinterlassen.«
»Doktor Friedrich ist gerade dabei, den Jungen zu untersuchen.«
Er schnauft verächtlich. »Doktor Friedrich steht auf der Gehaltsliste der Herrscherin.«
Ich verziehe keine Miene.
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