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Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Titel: Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson
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diese Engländerin.«
    »Alys.«
    »War das ihr Name?«
    »Jawohl, Herr. Alys. Alys Swann.« Und plötzlich, als käme die Erinnerung aus heiterem Himmel zurück, fällt mir ein, wo ich zum letzten Mal diesen englischen Ausdruck gehört habe. Ich will dem Schwan gleich in Wohllaut sterben. Ich erinnere mich nur an die Worte, nicht an den Zusammenhang. Doktor Lewis hat mir Englisch beigebracht, indem er mit mir zusammen einen Folianten las, fünfzig Jahre alt, dessen Umschlag vom häufigen Gebrauch abgewetzt war. Die Worte stammten aus einem Stück über einen Mohrenkönig und die weiße Frau, die er geheiratet hatte. Meine Mundwinkel kräuseln sich.
    »Warum lächelst du?«
    Es wird nicht viel Zweck haben, es ihm zu erläutern. Stattdessen versuche ich, den Ausdruck zu erklären, kann mich aber nicht an den arabischen Namen des Vogels erinnern. Schließlich flüchte ich mich in die Mimik: Meine Hand zeichnet eine fließende Linie in die Luft, und die seine folgt der Biegung des anmutigen Schwanenhalses.
    » El ouez abiad . Der Weiße Schwan. So werde ich sie nennen.«
    Samir ist kein Schreiber, so viel steht fest. Seine Einträge im Diwanbuch sind kaum zu entziffern und wimmeln von Durchstreichungen und Tintenflecken. Auf eine saubere Seite, unberührt von seiner groben Hand, schreibe ich:
    Dritter Tag der Versammlung, Rabi’ al-thani
    Alys Swann. Zum Islam übergetretene englische Gefangene, 29 Jahre alt, Jungfrau. Ein Geschenk von Sidi Qasem ben Hamed ben Moussa Dib an Seine Majestät.
    Meine Hand zittert, als ich den Eintrag mache, so aufgewühlt bin ich. Es ist böse Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet einem Eunuchen die Aufgabe zufällt, diese Chronik von Lust und Potenz festzuhalten, nicht wahr? Schlimmer noch, einem Eunuchen, der bis vor Kurzem noch ein normaler Mann war und die Freuden der körperlichen Liebe bereits kannte. Habe ich je eigene Kinder gezeugt? Ich fürchte, ich war nie irgendwo lange genug, um eine ernsthafte Bindung einzugehen. Meinen Master hielt es nur selten länger als ein, zwei Monate am gleichen Ort, denn er war ständig auf der Suche nach Wissen, sodass wir ganz Nordafrika und Spanien bereisten und einmal sogar bis nach Venedig kamen. Die venezianischen Kurtisanen mit ihren weichen, weißen Armen und den aufreizenden Kleidern, die kaum die Brüste verbargen, ihren auserlesenen Parfüms, dem wissenden Blick und ihren erstaunlichen Verführungskünsten. Seit der Kastration habe ich meine Gedanken von derlei Dingen abgelenkt. Für einen Eunuchen ist nichts nutzloser als die Begierde.
    Und dann kam Alys Swann …
    Allein der Klang ihres Namens in meinem Kopf berührt Teile von mir, die ich längst abgestorben glaubte. Ich muss das aufwallende Blut in den Lenden unterdrücken. Es ist unnatürlich, und doch … und doch frage ich mich, ob ich irgendwie auserwählt wurde, als Empfänger einer Art von Wunder …
    Um meine unruhigen Gedanken abzulenken, blättere ich in dem Buch. Es erfüllte mich immer mit besonderem Stolz, es nicht nur akkurat, sondern auch elegant zu führen. Die meisten der verzeichneten Geschlechtsakte hatten in Fès stattgefunden, bevor der Hof nach Meknès umgezogen war. Ich erinnere mich an die Gemächer des alten Palastes, prächtig und luxuriös, aber auch irgendwie düster, trotz seiner hohen Deckengewölbe und reichen Verzierungen. Dieser Palast hatte viel gesehen: Es kam einem vor, als wären die Wände mit einer Patina von Schmerz überzogen. Ich überfliege die Einträge und rufe mir eine Frau nach der anderen ins Gedächtnis zurück: Naima und Habiba, Fatima, Jamilla und Yasmin, Ouarda, Aisha, Eptisam, Maria und Chama. Manche waren kaum mehr als Kinder. Eine oder zwei weinten, als er sie nahm, weil sie nicht verstanden, was von ihnen verlangt wurde. Es gibt sogar einen sehr frühen Eintrag, bei dem die Tinte zerlaufen ist, weil ich aus Mitgefühl mit einem solch jungen Ding selbst Tränen vergießen musste. Jetzt suche ich ihn. Nie werde ich den Gesichtsausdruck der Kleinen vergessen: Ihre Pupillen waren mehr Löcher als Augen, als hätte man ihr mit dem gewaltsam erzwungenen Akt jeden Funken von Geist ausgetrieben.
    Ich blättere zurück zum Anfang und dann wieder vorwärts, bis zur Gegenwart. Mein Leben und das der Frauen ist hier in täglichen, schlichten Einträgen verzeichnet. Ich runzele die Stirn. Wo ist diese Seite? Bevor Samir das Buch in die Finger bekam, war es die einzige, die nicht ganz ohne Makel war.
    Ich finde Emira Zoubida, die haargenau

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