Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
wusste, was sie wollte. Eine echte Verführerin mit auberginenfarbener Haut, die dem Sultan Zwillingssöhne schenkte. Die Feierlichkeiten verliefen besonders geräuschvoll. Natürlich lebten die Kinder nicht lange, nachdem sie von Anfang an kränkelten. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte Zidana die Finger im Spiel. Fast alle anderen hatten um diese Zeit Mädchen zur Welt gebracht, und von den wenigen Jungen hatte keiner überlebt. Abgesehen von Zidan natürlich. Ich blättere die Seite um und stoße … nicht auf das aus Mitleid mit zerlaufener Tinte befleckte Blatt, das hier eigentlich hätte folgen müssen, sondern auf eine völlig unbekannte Seite. Verwirrt starre ich eine Zeit lang darauf. Bei näherem Hinsehen erkenne ich, dass es nicht meine eigene Handschrift ist, wenn auch eine erstaunlich gute Fälschung. So gut sogar, dass vermutlich nur ich selbst den Unterschied je bemerkt hätte. Im unteren Teil ist eine schwache Linie zu sehen und am Fuß der Seite eine kleine Markierung. Ich gehe mit dem Buch hinaus ins schwindende Licht des Hofes, aber eigentlich brauche ich keine Bestätigung. Ich weiß … Ich weiß es einfach.
Eine Seite ist sehr geschickt verändert und von ihrem ursprünglichen Platz entfernt worden. Sie enthält keinerlei Unwahrheiten, bis auf das Datum: Ein Sohn hat eine Reihe von anderen Söhnen übersprungen und einen höheren Platz in der Erbfolge erreicht, ein Pfand, das nun von einem Spieler in die richtige Position gebracht werden kann. Man kann die Verbindungsstelle kaum erkennen, so sorgfältig wurde gearbeitet: Das Blatt wurde herausgerissen, nicht geschnitten, sodass Kette und Schuss des Leinens beinahe nahtlos ineinander übergehen. Ein extrem aufwändiges Verfahren. Es könnte durchaus drei Wochen gedauert haben, meine Handschrift zu üben, den Eintrag zu fälschen und die Seite auszutauschen …
Haben sie sich wirklich eingebildet, ich würde die Manipulation nicht bemerken? Andererseits, wäre alles nach Plan gelaufen, hätte ich natürlich längst einen Nagel im Kopf oder wäre auf das gottlose Angebot des Großwesirs eingegangen und als Gefangener in seinem Haus seinen perversen Launen ausgeliefert gewesen.
Ich hatte meinen Feind bereits erraten; was ich nicht verstand, war sein Motiv. Doch zumindest kenne ich jetzt das Spiel und den Einsatz, der ziemlich hoch ist. Er hat viel investiert, um mich aus meinem Amt zu verdrängen, und wird nicht glücklich darüber sein, dass ich seinen Klauen entkommen konnte und erneut für das Diwanbuch verantwortlich bin. Wie lange wird es dauern, bis er das nächste Mal versucht, mich umzubringen?
ZWÖLF
A m folgenden Tag nehme ich meine üblichen Aufgaben wieder auf, als wären sie nie unterbrochen gewesen. Es ist so, als hätte es den Fall Sidi Kabour nie gegeben, genau wie ben Hadou versprochen hat. Und doch hat sich die Welt verändert. Bin ich der Einzige, der es so sieht?
Als wir an diesem Nachmittag unsere Runde durch die Palastanlage machen, beobachtet Abdelaziz mich aus den Augenwinkeln, wenn er glaubt, ich sei in meine Notizen vertieft. Es hat einen Zwischenfall mit einer Kalkexplosion gegeben; vier Arbeiter haben dabei ihr Leben verloren, und einer der großen Bottiche mit tadelakt – dem Putz, der aus Marmorstaub und Albumen gemischt wird – wurde auf mysteriöse Weise zerstört. Drei Monate Arbeit und zwanzigtausend Eier sind vertan. Ismail ist außer sich, rattert Anweisungen herunter, stößt fürchterliche Drohungen aus, und obwohl ich äußerlich ganz auf das Schreiben konzentriert bin, spüre ich die Augen des Wesirs auf mir wie Insekten.
Als ich aufschaue und seinen Blick kreuze, sieht er rasch weg und spricht angeregt mit dem Obersten Astronomen. Doch er wirkt nervös, als hätte er die Veränderung in mir wahrgenommen. Er muss über meine plötzliche Wiedereinsetzung beunruhigt sein, sage ich mir. Was ist wohl aus seinem Neffen geworden? Auch über Alys mache ich mir Gedanken. Wie mag es ihr gehen? Ob die Frauen des Sultans nett zu ihr waren? Macht sie mich verantwortlich für ihre Entscheidung, zum Islam überzutreten, und hasst sie mich jetzt?
Wir sind auf dem Weg zurück zu Ismails Gemächern, als ein Beamter im Laufschritt auf uns zukommt und meldet, ein General sei im Palast angekommen und habe dringend um eine Audienz gebeten. Wir finden ihn in einem Empfangszimmer, mit schmutziger Uniform, in Begleitung einer Gruppe ebenso ungepflegter Soldaten, die ein Dutzend schwerer Säcke bei sich tragen. Sie haben
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