Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
jetzt hat sich etwas verändert, und der Auslöser dieser Veränderung ist Alys.
Ich nicke lächelnd und verziehe das Gesicht zu einem halbwegs bewundernden Ausdruck. Sobald er mir ein Zeichen gibt, verlasse ich mit dem Diwanbuch unter dem Arm eilig den Raum. Ich gehe mit gesenktem Kopf, ohne auf meine Umgebung zu achten. Als ich wieder in meinem Zimmer bin, lege ich das Buch auf das Bett und wende mich um. Die kühle Luft des Hofes, der süße Duft der Blumen und die herrliche Nacht sind allzu verlockend. Da ich noch mit meinen brodelnden Gefühlen kämpfe, bin ich vollkommen unvorbereitet auf den Angriff.
Einen Augenblick später stürzen sie sich auf mich, vier auf einmal. Der erste Schlag trifft meine Schulter und jagt einen flammenden Schmerz hindurch. Irgendein Teufel hat mich mit einem Knüppel angegriffen! Der Schmerz erweckt einen Dämon in meinem Inneren. Mit einem Aufschrei setze ich zur Gegenwehr an und schlage wild um mich. Es ist eine Wonne, jemanden zu schlagen, ihn so hart zu treffen, dass er nach hinten fällt und gegen eine Wand prallt. »Das Buch!«, ruft eine Stimme, und wieder ein anderer versucht, mir einen Hieb auf den Kopf zu versetzen, doch er ist kleiner als ich, und der Schlag geht daneben, was mich nur noch mehr aufbringt. Jetzt ist mein Arm ebenfalls ein Knüppel, eine von Wut getriebene Waffe. Meine Faust prallt mit voller Wucht gegen den weichen Teil eines Gesichts und dann in den Knochen darunter. Man hört etwas knirschen und ein blubberndes Geräusch, und ich trete zu, wieder und wieder und wieder, ohne daran zu denken, dass meine Füße in den weichen babouches vermutlich mehr zu Schaden kommen als seine Rippen. Der dritte Mann starrt mich an. Sein Gesicht schimmert weiß im Licht des Mondes. Ich erkenne in ihm einen Schläger, den ich gelegentlich am Hof gesehen habe, kann mich aber nicht an seinen Namen erinnern, Hamid oder Hamza, glaube ich. Als sich unsere Blicke treffen, grinst er spöttisch, doch in seine Verachtung mischt sich auch Furcht. Ich mache einen Schritt auf ihn zu, er zuckt mit den Achseln, als wollte er sagen: Mir doch egal , und macht sich aus dem Staub. Bleibt nur noch der vierte Mann. Ich starre ihn an.
»Du!«
Ich bin so verblüfft bei seinem Anblick, dass ich kaum das Messer registriere, das er plötzlich in der Hand hält. Vielleicht denke ich sogar, noch während ich seinem ersten Angriff ausweiche, dass es dasselbe Messer ist, mit dem er dem armen Sidi Kabour den Hals aufgeschlitzt hat. Scharf genug scheint es zu sein. Die gefährliche Klinge schimmert im Halbdunkel.
»Du Dreckskerl! Du schwarzer Hund!«, faucht er und kommt erneut auf mich zu. »Wer hätte gedacht, dass ein Eunuch wie du den Mumm hätte, sich zu verteidigen?« Sein südlicher Akzent ist unverkennbar. Das schmale Gesicht verzieht sich zu einem reptilischen Grinsen, und ich kann sehen, dass er kleine, spitze Zähne hat, wie ein Hund.
Ich kenne ihn. »Ich kenne dich!«, rufe ich, und diese Erkenntnis ist so überwältigend, dass sie mich von Kopf bis Fuß erfüllt und ich anfange zu zittern. »Ich weiß, wer du bist, dein Onkel hat mich entmannt, genauso wie dich!«
In dem Moment greift er an, und es ist ein mörderischer Angriff. Ich weiß nicht, warum, aber statt ihm auszuweichen und ihm den Vorteil zu überlassen, mache ich einen großen Schritt auf ihn zu. Noch während das Messer auf mich zusaust, packe ich mit beiden Händen sein Handgelenk, drehe mich mit dem Rücken zu ihm und benutze dabei seinen Arm als Hebel. Dieser hält einem solchen Druck nicht stand; ich habe oft genug beim Sezieren einer Leiche geholfen, um mich mit den Funktionen der menschlichen Anatomie auszukennen. Außerdem ist der Kerl kleiner als ich, und plötzlich habe ich – zum ersten Mal in meinem Leben – das Bedürfnis, jemanden zu verletzen, ihn möglichst schwer zu verletzen. Denn diesem Mann – auch wenn er nur eine Marionette ist – habe ich alle möglichen Qualen zu verdanken. Mit Genugtuung höre ich, wie das Schultergelenk mit einem knirschenden Geräusch nachgibt. Das Messer fällt ihm aus der Hand und landet scheppernd auf dem Boden. Mit dieser Hand kann er nichts mehr ausrichten. Mittlerweile habe ich ihn an die Wand gedrängt und presse ihm den Arm an die Kehle, bis seine Augen hervortreten. Hass zeigt sich darin, doch keine Angst, das muss man ihm lassen. Er scheint mich tatsächlich zu hassen, vielleicht wegen des Verlusts seiner Männlichkeit. Das kann ich verstehen, und trotzdem empfinde
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