Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Regiment übernommen. Jeden Tag kommt es zu einem Kampf, und wer sich einmischt, muss damit rechnen, gebissen zu werden. Am Ende lässt Zidana alle einsammeln und töten. Eigenhändig entfernt sie die Gehirne und inneren Organe, die sie für ihre Magie gebrauchen kann. Alys ist untröstlich.
Nach diesem Tag sperre ich Amadou in meinem Hof ein.
Die Monate vergehen. Ismail besucht in Abdelaziz’ Begleitung seine Truppen im Rif-Gebirge und entlang der Nordküste bis zur englischen Niederlassung in Tanger, um sich ein Bild davon zu verschaffen, was gebraucht wird und welche Steuern er den Juden und Korsaren dafür abpressen muss. Alys ist seltsam unberührt von seiner Abwesenheit. Eines Tages ergreift sie meinen Arm, ohne auf die erstaunten Blicke der Frauen am Hof zu achten. Meine Nerven reagieren sofort auf ihre Berührung, selbst durch die dünne Baumwolle des Ärmels.
Als sie mir ihr herzförmiges Gesicht zuwendet, wird mein Kopf plötzlich unendlich schwer. Ich muss mich sehr zusammenreißen, um der Verlockung zu widerstehen, mich hinabzubeugen und sie zu küssen. »Er wird doch wiederkommen? Ismail, meine ich. So gefährlich ist es im Norden nicht, oder?«
Die Enttäuschung trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube. Hölzern erkläre ich, dass dem Sultan weder Messer noch Kugeln etwas anhaben können. Wer würde es wagen, die Hand gegen Sonne und Mond von Marokko zu erheben? Allein für den Vorsatz würde Gott den Betreffenden selbst mit dem Tod bestrafen. Das sage ich nur halb im Scherz; ein Teil von mir glaubt es. Den Rest der Woche halte ich mich vom Harem fern, erledige mechanisch meine Aufgaben und liefere ben Hadou und den anderen Beamten, die während der Abwesenheit des Sultans die Verantwortung übernommen haben, meine Berichte ab. Al-Attar ist ein strenger Vorgesetzter: Er führt den Palast so penibel wie ein französisches Uhrwerk. Ohne die Anwesenheit des Sultans und des Großwesirs geht es bei Hof ruhiger zu, selbst die Zankereien und Rivalitäten im Harem lassen nach.
Doch lange kann ich mich nicht verstecken: Als Black John sich nicht wohlfühlt, lässt Zidana mich rufen, um ihre Entourage zu unterhalten. Ich spiele die Oud und singe dazu, doch Rumis unsterbliche Worte sind nur für ein einziges Ohrenpaar bestimmt:
Mein Herz ist gleich einer Laute
Jede Note seufzt vor Sehnsucht
Meine Geliebte sieht mich an
In Schweigen gehüllt.
Wenn du dein Antlitz zeigst
Tanzen sogar die Steine vor Freude
Wenn du den Schleier hebst
Verliert selbst der Weise den Verstand.
Die Spiegelung deiner Züge
Färbt das Wasser mit einem Hauch von Gold
Und dämpft das Feuer der Flammen
Zu sanfter Glut.
Wenn ich dein Antlitz sehe
Verlieren Mond und Sterne ihre Kraft
Der Mond ist zu alt und zu matt
Um sich mit einem solchen Spiegel zu messen.
Alys betrachtet mich aufmerksam. Auch ohne ihren Blick zu erwidern, kann ich ihn auf mir spüren. Ob sie an mich denkt? Meine Gedanken sind so oft bei ihr, dass es sich anfühlt, als wäre es Realität. Ja, beinahe kann ich mir vorstellen, dass ich bei ihr liege, ganz nah. Doch dann scheut mein Verstand zurück vor der Farce, die folgen würde, und ich schelte mich für meine Dummheit.
An diesem Abend nehme ich meinen geliebten, in Leder gebundenen Gedichtband von Rumi mit ins Bett und suche Trost in den Worten des lange verstorbenen Dichters.
Ich bin die schwarze Nacht, die den Mond hasst
Ich bin der elende Bettler, zornig auf den König
Ich habe keinen Frieden, aber ich werde nicht klagen
Ich bin zornig über die Klagen!
Ich laufe vor dem Magneten davon
Ich bin der Strohhalm, der dem Zauber des Bernsteins widersteht
Wir sind nur winzige Teilchen, ohnmächtig in dieser Welt
Ich bin zornig auf Gott!
Du weißt nicht, wie es sich anfühlt zu ertrinken
Du schwimmst nicht in einem Meer von Liebe
Du bist nur ein Schatten der Sonne und
Ich bin zornig auf die Schatten!
Ja, ich bin zornig – auf den Teufel, der mir meine Männlichkeit geraubt hat, auf einen Sultan, der Eunuchen für seinen Palast braucht, aus Angst, dass die Frauen in seinem Harem ihn nach Lust und Laune betrügen würden, zornig auf die Frauen im Harem, die in mir nicht mehr als einen geschlechtslosen Diener sehen, und auf Alys, weil sie eine Sehnsucht in mir entflammt hat, die sich niemals erfüllen kann. Doch am meisten bin ich zornig auf mich selbst. Nacht für Nacht liege ich im Dunkeln und frage mich, wer ich bin, was aus mir geworden ist, wer ich sein könnte. Muss ich mich wirklich
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