Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
ich kein bisschen Sympathie für ihn. Ich mustere die scharfen Züge, den modisch geschnittenen Bart. »Ich weiß, wer du bist«, wiederhole ich.
»Hat ja auch lange genug gedauert.« Schweißperlen brechen aus den Poren auf seiner Stirn.
»Du hast einen alten Mann umgebracht, der nie jemandem etwas zu Leide getan hat, und ihn in seinem eigenen Blut liegen lassen!«
»Nie jemandem etwas zu Leide getan? Vielleicht nicht mit eigener Hand, aber denk an all die anderen Hände, die seine giftige Ware kauften, denk an die zahllosen Opfer. An die Hexe, die alles vergiftet, was ihrer kostbaren Brut gefährlich werden könnte – und du, du hilfst ihr auch noch! Doch eines Tages wird sie auch dich vergiften – sie ist eine Zauberin, eine Hexe.«
Das lässt sich nicht bestreiten, allerdings bin ich plötzlich sehr erschöpft. Ich verlagere mein ganzes Gewicht auf den Arm, der auf seiner Kehle liegt, und bringe ihn zum Schweigen. »Das alles weiß ich selbst. Du kannst mir gar nichts erzählen. Ich weiß, dass dein Onkel dich kastrieren ließ, um dir eine Stellung am Hof zu verschaffen. Dann hat er dir befohlen, den Kräuterhändler zu töten, um mich zu ersetzen, das Diwanbuch in die Hände zu bekommen und seine Änderungen anzubringen. Er hat Fatimas Eintrag so manipuliert, dass ihr Sohn in der Erbfolge nach oben gerückt ist.« Es verschafft mir unendliche Befriedigung zu sehen, wie sich seine Augen weiten.
»Und deshalb muss Abdelaziz’ nächster Schritt darin bestehen, Ahmed auszuschalten, ein Kind von nicht einmal drei Jahren …«, denke ich laut weiter nach.
»Das Kind ist ein Ungeheuer und der Sohn eines Ungeheuers.«
Meint er Zidana oder Ismail? Ich bin sicher, dass die Welt ohne dieses kleine Monster weit sicherer wäre, aber selbst dann ist es meine Pflicht, die wahre Thronfolge aufrechtzuerhalten. Immerhin bin ich der Hüter des Buches. »Ich könnte alle Wachen zusammentrommeln; es würde nicht mehr als ein paar Sekunden dauern. Ich könnte sie rufen und dich vor den Sultan schaffen. Ich könnte ihm das Buch mit der Fälschung zeigen …« Das kann ich natürlich nicht: Zidanas Buchbinder hat es längst in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt, aber das muss er ja nicht wissen. »Ich müsste dem Herrscher kaum erklären, welche Bedeutung sie hat. Er ist ein scharfsinniger Mensch und grausam. Er würde euch alle hinrichten lassen und gewiss vorher auch noch foltern. Aber aus Gründen, die dich nichts angehen, habe ich beschlossen, das nicht zu tun. Lauf zurück zu deinem Onkel und sag ihm, was ich weiß. Er soll mich in Ruhe lassen, oder ich erzähle alles dem Herrscher.«
Er sieht mich an und verzieht den Mund. »Der hajib und der Herrscher sind wie Brüder. Ismail wird nicht zulassen, dass jemand auch nur ein Wort gegen Abdelaziz sagt. Niemals würde er dir Glauben schenken.« Trotz seiner überheblichen Worte erkenne ich Unsicherheit in seinen Augen.
Ich verstärke meinen Griff, und schließlich nickt er. Ich lasse ihn los. Er massiert sich den Hals mit der heilen Hand, bevor er sich bückt, um das Messer aufzuheben, doch ich stelle den Fuß darauf. »Verschwinde«, sage ich noch einmal, und er geht und nimmt die beiden anderen Männer mit.
Als ich später im Bett liege, lasse ich den Kampf noch einmal Revue passieren. Ich genieße die hemmungslose Gewalt und die Befreiung des Kriegers in mir, von dessen Existenz ich bis zu diesem Augenblick keine Ahnung hatte. Nicht, dass ich meine Wunden beklage, im Gegenteil, ich bin stolz darauf. Jetzt wird der Großwesir mich töten wollen, obwohl ich das Objekt seiner Begierde bin, aber wenigstens bin ich dann kein Spielball in den Händen dieser Edelmänner mehr. Ich werde mich schützen müssen. Unzählige Möglichkeiten gehen mir durch den Kopf, mit denen er versuchen könnte, mich loszuwerden, doch am Ende scheint Gift die Methode zu sein, die er am ehesten anwenden würde.
Am nächsten Tag gehe ich zum Markt und kaufe bei einem Tierhändler einen Affen – einen gut abgerichteten Berberaffen. Ein Schneider fertigt ihm eine Robe wie meine eigene und einen kleinen roten Tarbusch, den er auf dem Kopf trägt und den ich mit Bändern unter seinem Kinn befestige. Der Affe beschwert sich nicht über diesen Firlefanz, sondern ist froh, dass er seinem Käfig entflohen ist und Früchte zu essen bekommt. Dann mache ich mich auf den Heimweg. Wenn er an seiner Leine zieht und anfängt zu schnattern, bleibe ich stehen, damit er sich in die Gosse hocken und
Weitere Kostenlose Bücher