Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
über den Verlust meiner Manneskraft definieren? Bin ich so unbedeutend, dass die Entfernung der Hoden einen solchen Einfluss auf meine Identität hat, mich auf ein Sein beschränkt, das weniger ist als ein Mann? Was ist denn ein Mann letzten Endes? Doch wohl mehr als ein Tier, das ein Weibchen befruchtet. Ich denke an die Männer, die ich gekannt habe – an meinen Vater zum Beispiel, einen ehemals stolzen Mann, der durch Kriegsverletzungen und Krankheit gelähmt war, die letzten Jahre seines Lebens auf einer Strohmatte verbrachte und jedem, der in Hörweite war, mürrisch Befehle erteilte, ein König, dessen Reich auf eine stinkende Hütte begrenzt worden war. Oder an meinen Onkel, der eines Tages einfach verschwand, nachdem er ein Dutzend Kinder gezeugt und dann festgestellt hatte, dass er seine immer größer werdende Familie nicht ernähren konnte oder wollte. Nur seine Speere und seine Kalebasse nahm er mit. An den Doktor: ein gut bestückter Mann, der jedoch nicht das geringste Interesse an Frauen zeigte, soweit ich weiß, und an Jungs zu meiner Erleichterung auch nicht. Ihn trieb nur die Begierde, die Welt verstehen zu wollen, ein innerer Hunger, ein Verlangen, das sich niemals stillen ließ, und das Einzige, was ihn jemals glücklich machte. Dann denke ich an die Torwächter – immer noch ganze Männer, deren Umgang mit Frauen nichts Romantisches hat, sondern eher dazu dient, einen Trieb zu befriedigen und noch mehr Kinder zu zeugen, um das Personal des Palastes wieder aufzufüllen.
Der Sultan? Er ist weit mehr als ein Mann, fast ein Gott. Sich mit einem solchen Beispiel zu beschäftigen bringt nichts.
Und was die anderen Eunuchen im Palast betrifft, nun ja, da haben wir es mit einem merkwürdigen Spektrum der Menschheit zu tun …
Es gibt diejenigen, die ihren neuen Zustand so sehr verinnerlicht haben, dass sie praktisch zu Frauen geworden sind. Sie haben Hängebrüste und faltige Bäuche, ihre Haut ist weich wie ein Kissen, und jeden Morgen reiben sie sich das Gesicht mit pulversierten Schmetterlingsflügeln ein, um die hässlichen Bartstoppeln zu verbergen. Die meisten scheinen mit ihrem Los zufrieden zu sein. Es genügt ihnen, den ganzen Tag mit ihren Schützlingen herumzusitzen, den neuesten Tratsch auszutauschen, von morgens bis abends zu essen und darauf zu warten, dass irgendetwas geschieht, worüber sie reden können. Dann gibt es welche wie Qarim und Mohammadou, die zärtlich wie Mann und Frau miteinander umgehen, soweit das möglich ist, als hätte der Eingriff nicht nur ihre Körper, sondern ihr ganzes Wesen verändert. Wenn ich sehe, wie sie die Köpfe zusammenstecken oder sich heimlich zulächeln, beneide ich sie beinahe: Sie haben hier einen gewissen Frieden gefunden, den die übrige Welt nur schwer tolerieren würde. Ist es verwerflich, dass ich mich noch leerer fühle, wenn ich sie so glücklich miteinander sehe?
Ich bin anders als alle diese Männer. Ich werde niemals Vater werden oder ein Mann, der seine Familie verlässt; ich werde, wenn ich es irgendwie verhindern kann, nie ein Mann mit weicher Haut, Brüsten oder Bauchfalten sein, weder einer, der Gefallen an anderen Männern findet, noch ein Monstrum oder ein Sultan. Es taugt nichts, sich auf eine dieser Rollen einzustellen, und so muss ich aus mir machen, was ich kann. Ja, ich bin ein Sklave, ein kastrierter obendrein, aber meinen Stolz und meinen Geist habe ich noch nicht verloren.
Ich bin Nus-Nus. Ich bin ich. Ich muss, wie Zidana es mir aufgetragen hat, die Stärke in meiner Seele, den Krieger in meinem Inneren finden. Und vielleicht ist das genug.
Trotzdem scheint sich etwas verändert zu haben. Ein paar Tage später sagt Zidana zu mir: »Also wirklich, Nus-Nus, ich muss sagen, du siehst in letzter Zeit sehr gut aus. Wie ein kleiner König. Hat es vielleicht etwas mit deiner Haltung zu tun?« Sie umrundet mich und lacht mit voller, tiefer Stimme. »Ein bisschen aufrechter im Rücken, wenn meine Augen mich nicht täuschen, ein bisschen freier in der Bewegung. Hast du mit deinen Ketten gerasselt, mein Junge, und deine Freiheit womöglich zu sehr ausgekostet, während dein Herr nicht da ist?«
Ich sehe sie missbilligend an, und sie grinst nur noch breiter. »Du kannst es mir ruhig erzählen, weißt du, ich werde dein Vertrauen nicht enttäuschen. Gibt es vielleicht eine Frau?« Sie beugt sich näher zu mir herüber. »Oder einen Jungen?«
Ich spüre, wie sich hinter meinen Augen etwas schließt. Ich kann es mir nicht
Weitere Kostenlose Bücher