Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
ihren König, Teil der Mitgift seiner portugiesischen Braut. Die Pest erreicht Asilah und Larache und streckt ihre Fühler noch weiter an der Küste aus, bis nach Salé und Rabat. Händler schleppen sie ins Inland ein. Jede Woche kriecht sie näher, und wir hören entsetzliche Geschichten über ganze Familien, die ihr zum Opfer fallen, von Bauern, deren gesamter Viehbestand verhungert, verirrten Schafen, die unbeaufsichtigt durch die Hügel wandern, Handelskarawanen, die ohne Führer die Handelsrouten entlangziehen. Dann ist sie in Kehmisset und Sidi Kacem, nur ein paar Dutzend Meilen entfernt.
Wir warten in der stickigen Hitze, in der man kaum Luft bekommt, und beten, dass sie durch eine Laune des Schicksals uns verschont und stattdessen über Marrakesch hereinbricht. Inmitten all dieser Hysterie lasse auch ich mich von der Angst anstecken. Ich kenne die Krankheit nicht aus erster Hand, aber mein Doktor Lewis hat mir davon erzählt, und mit ihm zusammen sah ich die Nachwirkungen, den Ausstoß von abergläubischen Schreckensvorstellungen, der Venedig noch etwa dreißig Jahre nach dem letzten Ausbruch im Griff hatte. Doktor Lewis war fasziniert von der Pest und dem unerschütterlichen Glauben der venezianischen Bevölkerung, dass sie allein kraft ihres Gebets von den verheerendsten Schäden verschont geblieben war. »Diese Menschen sind nicht zivilisierter als dein Volk«, sagte er mir mehr als einmal, wenn wir durch die Stadt gingen. »Sie drücken ihren Glauben in großartigen Gesten aus – doch statt Tiere und Feinde zu opfern, um sich die Gunst ihrer Götzen zu sichern, investieren sie enorme Geldsummen in hohe Türme und religiöse Gemälde, in dem Glauben, sich damit Schutz kaufen zu können.«
In einer kleinen Seitenstraße betrat der Doktor den Laden eines Apothekers und kaufte zwei dieser seltsamen vogelschnabeligen Masken, die venezianische Ärzte getragen hatten, um sich geschützt in der Stadt bewegen zu können. Eine davon setzte er einmal auf, als ich es nicht merkte, und erschreckte mich damit so sehr, dass ich mitten auf der Straße stürzte. Nachdem ich mich wieder aufgerappelt hatte, zeigte er mir, wie sie den Schnabel mit Kräutern ausgestopft hatten, um die Atemluft zu reinigen. Dann schnalzte er mit der Zunge. »Trotzdem bin ich überzeugt, dass die Pest nicht durch die Luft übertragen wird. Hoffen wir auf einen neuen Ausbruch, damit ich meine Theorien überprüfen kann.« Ich zitterte und hoffte stattdessen inständig, dass uns dies erspart bliebe. So bestechend die Stadt auf den ersten Blick zu sein schien, so war sie doch voller enger, dunkler Gassen und übel riechender Gewässer, in denen alle möglichen Krankheiten lauern konnten. Hier festgesetzt zu sein war mein persönlicher Alptraum.
Wir begaben uns nach San Giobbe im Nordwesten der Stadt, unweit des jüdischen Ghettos, wo wir etwas zu erledigen hatten, besichtigten dann die Kirche Santissimo Redentore und schließlich die Scuola San Rocco, wo der Doktor seine Neugier in puncto Pestkirchen befriedigte. Die meisten Gemälde, die wir dort sahen, hatten mit der Realität nicht viel zu tun; sie stellten große, weiße Engel, strahlende Madonnen und dicke Säuglinge dar, doch dann stießen wir in einem Atelier nicht weit von der Scuola entfernt auf den jungen Künstler Antonio Zanchi, der gerade ein monumentales Werk beendete. Es zeigte detailgetreu die kaum bekleideten Leichen von Pestopfern, die aus Fenstern und von Brücken herabgereicht und von kräftigen Männern entgegengenommen wurden, um in schwarze Gondeln gestapelt zu werden. Andere wurden einfach in die Kanäle geworfen. Alle Leichen waren von denselben schrecklichen Beulen und Geschwüren gezeichnet. Wie gebannt beobachtete ich den Mann bei seiner Arbeit. Farbe auf eine Leinwand aufzutragen, Formen und Perspektive auf einer flachen Oberfläche zu schaffen kam mir wie Zauberei vor und beunruhigte mich auf eine Art, die ich nicht erklären konnte. Fast hatte ich das Gefühl, als brächte er die Pest zurück in die Welt, wenn er ihre Symptome so drastisch darstellte.
Während der Arbeit erzählte uns Antonio Zanchi von San Rocco, dem Schutzheiligen der Italiener gegen die Pest. Wir hatten schon überall in der Stadt Bilder von ihm gesehen, auf denen er sich in einem Hospital um die Pestopfer kümmerte, wo er sich natürlich selbst ansteckte, oder sein Gewand anhob, um eine Pestbeule auf seinem Schenkel zu zeigen. Zanchi zufolge hatte sich der Heilige in einen Wald verkrochen
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