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Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Titel: Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson
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und auf den Tod gewartet, begleitet nur von seinem kleinen Hund, der ihm täglich einen heimlich stibitzten Brotlaib aus den Bäckereien der Stadt brachte. Zum Lohn für seine aufopfernde Sorge um die Kranken war ihm ein Engel erschienen, der ihn gesund pflegte, und so wurde er wie durch ein Wunder gerettet.
    Ich registrierte die Skepsis meines Masters, doch er wartete, bis wir draußen waren, bevor er erklärte: »Noch mehr Aberglaube. Man kann die Pest durchaus überleben. Wenn man es bis zum fünften Tag schafft, haben die Abwehrstoffe des Körpers den Kampf gewonnen. Das hat weder etwas mit Gebeten noch mit Tugend zu tun. Ich habe mehr Sünder als Heilige gesehen, die sich ins Leben zurückgekämpft haben! Aber nicht umsonst spricht man vom ›großen Sterben‹ – angeblich wurde hier im Jahr 1630 jeder Dritte hinweggerafft.«
    Jeder Dritte. Jetzt fällt mir diese grauenhafte Bemerkung wieder ein.
    Alys. Zidana. Ismail.
    Alys. Zidana. Ich.
    Alys. Ismail. Ich.
    Nacht für Nacht quälen mich die Ängste.
    Brieftauben aus Fès bringen täglich schreckliche Meldungen. Menschen sterben im souq , auf den Straßen oder fallen auf dem Weg zum Markt tot von ihrem Maultier. In der Gerberei, wo die giftigen Gerüche nach Guano und Urin, mit denen die Tierhäute behandelt werden, eigentlich die Pest in Schach halten müssten, stürzt ein Mann unbemerkt von seinen Kollegen in eine der Gruben. Als seine Leiche an die Oberfläche steigt, ist sie so leuchtend gelb gefärbt, dass man sie zunächst für einen Dämon aus dem tiefsten Abgrund der Hölle hält. Die Pest schert sich weder um Status noch um Frömmigkeit: sherifs , Adlige und marabouts sind ebenso unter den gemeldeten Toten wie Imame und Muezzins. Ismail reagiert auf die Nachricht mit dem Befehl, eine Volkszählung durchzuführen, und erteilt den Kaids in Fès die Anweisung, die Stadt in einzelne Sektoren zu unterteilen und die Zahl der Toten in repräsentativen Straßen zu zählen, um einen Durchschnitt zu ermitteln. Mit dieser Methode wird schnell festgestellt, dass mehr als sechstausend Einwohner bereits umgekommen sind; die Zahl verdoppelt sich von Woche zu Woche.
    Ben Hadou bittet um eine Audienz beim Sultan. »Herr«, sagt er ernst, »diese Pest ist tödlich und unkontrollierbar. Wir sollten Meknès verlassen und uns in die Berge zurückziehen.«
    Selbstverständlich widerspricht Abdelaziz, der zur Rechten des Sultans sitzt. »Meknès ist vollkommen sicher, mein Herrscher. Niemand hier ist infiziert, und wir können dafür sorgen, dass die Pest unsere Grenzen nicht überschreitet.« Er nimmt Ismail am Arm – der Einzige, der es wagen darf, den Sultan ohne dessen ausdrückliche Genehmigung zu berühren – und führt ihn hinaus.
    Ben Hadou sieht ihnen nach, wendet sich um und sucht meinen Blick. »Du lebst also noch, Nus-Nus?«, fragt er leise. »Ich dachte, es könnte dich interessieren, dass Abdelaziz’ Neffe nicht mehr hier ist. Ich habe ihn nach Fès beordert.« Sein Auge zuckt: Ist es ein Zwinkern oder ein Tick? Schwer zu sagen bei al-Attar .
    Ismail lässt die Tore zum Palast schließen und erlässt den Befehl, Meknès vollkommen abzuriegeln. Alle Reisenden aus infizierten Städten sollen unverzüglich hingerichtet werden. Sein Entschluss steht fest: Seine neue Hauptstadt wird er nicht verlassen, obgleich ihn die Vorzeichen unablässig nervös machen und er uns Tag und Nacht seinen Körper auf verdächtige Anzeichen der Krankheit untersuchen lässt. Er verbringt sogar zwei aufeinanderfolgende Nächte allein, ein Novum in den fünf Jahren, die ich ihm gedient habe. Als er sich in der dritten Nacht für eine junge Frau entscheidet, vollzieht er den Akt oberflächlich, als wäre er mit seinen Gedanken woanders.
    Ein paar Tage später kommt es zum ersten Todesfall in Meknès. Ist es Zufall, dass es ausgerechnet die Frau des Brieftaubenzüchters trifft? Ismail lässt alle Tauben schlachten, weil er glaubt, sie seien durch infizierte Luft geflogen. Wir warten. Vielleicht war es eine andere Krankheit, die sie getötet hat, eine, deren Symptome ähnlich waren. Wir spekulieren noch, als plötzlich drei weitere Menschen sterben, die mit der toten Frau nichts zu tun hatten.
    Als Ismail die Nachricht hört, wird er bleich. Er lässt sich von mir alles berichten, was ich von meinem früheren Herrn gelernt und auf meinen Reisen gesehen habe. Er befiehlt, Vogelmasken für den Hof anzufertigen, und besteht darauf, dass wir alle sie in seiner Gegenwart tragen. Masken

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