Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
die Antwort vom Gesicht ab. »Du bist zu loyal.«
»Es ist nicht unbedingt Loyalität, die mich hält.«
»Ist es Angst?«
»Auch das nicht.«
»Dann muss es Liebe sein.«
Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht steigt, und kämpfe dagegen an. Doch am Ende gebe ich mich geschlagen. »Ja, es ist Liebe.«
Einen Moment lang wirkt Daniel al-Ribati wehmütig. »Wer immer es ist, der dich hier hält, sollte sich glücklich schätzen, einen so treuen Menschen an seiner Seite zu haben.«
»Sie hat keine Ahnung, ich habe ihr nichts gesagt.«
»Ach, Nus-Nus. Unerwiderte Liebe ist eine erbärmliche Sache. Erkläre ihr deine Liebe zumindest und hör dir an, was sie antwortet. Vielleicht möchte sie mit dir fliehen. Und wenn nicht, hast du wenigstens deine Antwort und kannst allein gehen.«
»Ich wünschte, es wäre so einfach«, sage ich inbrünstig.
»Liebe ist immer einfach. Es ist die einfachste Sache der Welt. Sie fegt alles andere weg und schafft einen geraden, klaren Weg.«
Ich werfe ihm ein schiefes Lächeln zu. »Das weiß ich nur zu gut. Sie hat einen geraden, klaren Weg durch mein Herz geschlagen.«
»Ich hoffe, dass die Frau es wert ist, Nus-Nus. Du bist ein guter Mann.«
»Findet Ihr? Manchmal bin ich so voller Wut und Angst, dass ich mich für den größten Sünder der Welt halte. Und was mich als Mann betrifft …«
»Es braucht mehr als zwei weggeschnittene Stücke Fleisch, um das zu ändern.« Er presst die Hände gegen die Schenkel und stemmt sich hoch. »Komm, sehen wir mal nach, ob Doktor Friedrich zu Hause ist.«
Wir gehen durch das Labyrinth verlassener Straßen. Die Bewegungen des Händlers sind entschlossen und energisch. Seine Arme schlenkern, das Gewand bauscht sich, die Ledersohlen klatschen auf den Pflastersteinen. Er behält sie sogar an, als wir an der Großen Moschee vorbeigehen. Das ist verboten und würde ihm eine Prügelstrafe einbringen, falls es Wachen in der Gegend gäbe. Doch die Stadt ist von ihren wahren Einwohnern zurückerobert worden: streunenden Hunden und dem Volk. Alle anderen sind geflohen oder umgekommen. Ich folge Daniel mit der baumelnden Vogelmaske in der Hand. Wenn er zwei Schritte macht, brauche ich nur einen langen und fühle mich freier als je zuvor, wenn auch nur im Geiste.
In den Seitenstraßen hinter dem zentralen Markt biegt Daniel nach rechts ab, dann wieder links und bleibt schließlich vor einer schmutzigen, mit Eisen beschlagenen Tür stehen, deren Farbe abgeblättert ist, sodass nur noch ein schwacher Abglanz des ursprünglichen Blau erhalten blieb. Er hämmert gegen das Holz; wir warten. Doch die Stille zieht sich in die Länge, niemand kommt, und mein gerade erst entdeckter Optimismus schwindet.
Dann hören wir in der widerhallenden Stille Schritte, die auf uns zukommen, und drehen uns beide um. Eine einzelne Gestalt biegt um die Ecke. Es ist ein hochgewachsener Mann mit einem flachen, schwarzen Hut. Keine Kapuze, kein Tarbusch oder Turban, also auch kein Marokkaner.
Der Händler geht ihm einen Schritt entgegen. »Friedrich?«
Die Gestalt bleibt stehen, kommt dann rasch auf uns zu. »Daniel?«
Sie fassen sich am Arm, lachen und unterhalten sich eine Weile auf Deutsch, eine Sprache, die ich nicht verstehe. Schließlich wenden sie sich mir zu. »Und das ist Nus-Nus, Eunuch am Hof des Sultans Moulay Ismail.«
Der Arzt ist etwa genauso groß wie ich, eine seltene Erfahrung. Wie ein Bär ergreift er meine Hand und schüttelt sie lebhaft, bevor er mit dem Kinn auf die Vogelmaske deutet. »Die wird dir nicht viel helfen«, lacht er spöttisch.
Er schließt die eisenbeschlagene Tür auf und lässt uns eintreten. Jenseits der dunklen Gänge erspähe ich einen sonnigen Garten voller üppiger Pflanzen, und mein Herz sehnt sich nach seinem Licht und dem Vogelgesang, doch der Arzt geleitet uns hinauf in sein Arbeitszimmer, einen Raum, der vor Büchern, Schriftrollen, Papieren und weiterem Zubehör aus allen Nähten platzt. Doktor Friedrich lässt sich ermattet auf einen großen Holzstuhl sinken und lädt uns ein, auf zwei großen Kisten in der Mitte des Zimmers Platz zu nehmen.
»Ihr packt?«, fragt Daniel.
»Es ist Zeit weiterzuziehen. Es bringt nichts hierzubleiben. Diejenigen, die noch nicht tot sind oder im Sterben liegen, verlassen in Scharen die Stadt.«
»Wo wollt Ihr denn hin?«
»Wie ich hörte, ist Marrakesch noch nicht von der Seuche bedroht.«
»Aber es kann nur eine Frage von Wochen sein, bis sie auch die Stadt mit den roten Mauern
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