Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
gehen, ohne meinen Arm loszulassen. »Diese Frau ist eine Hexe. Sie hat einen djinn angerufen und ihm einen Platz in ihrem Bauch angeboten. Da sitzt er jetzt und wartet nur auf den richtigen Zeitpunkt. Ich kenne mich mit solchen Dingen aus; ich habe sie studiert. In meinem Dorf hatte eine Frau eine Brut von zehn djenoun in ihrer Spalte versteckt. Djenoun lieben Blut, besonders Blut aus dem Schoß einer Frau. Das trinken sie und werden groß und stark. Es verzaubert sie und bindet sie an die Spenderin, bis sie nichts anderes mehr wollen. Alle tanzten nach ihrer Pfeife. Sie machten Frauen unfruchtbar und Männer impotent, sie verknoteten die Kleider frisch Vermählter, damit sie miteinander stritten, töteten Esel und vergifteten Flüsse. Es gab nichts, wozu diese Frau nicht fähig gewesen wäre. Auch sie hatte helle Augen, das sage ich dir. Es ist ein Zeichen ihrer Macht.« Sie senkt die Stimme. »Ich weiß, was sie ist, sag ihr das. Ich beobachte sie jeden Augenblick des Tages.« Sie wendet sich ab, senkt den Blick und sieht mich erneut an. »Siehst du?« Sie zeigt zu Boden.
Mein Blick folgt ihrer Geste. Vielleicht sind die Steine nicht gefegt worden, und da, wo ihr Schatten hinfällt, liegt ein wenig Staub, der von der untergehenden Sonne rot gefärbt wird.
»Da, da!« Sie sticht den Finger in die Luft. »Mein Schatten: Sieh nur, wie dünn er ist! Sie hat ihn verhext! Sie ist kein bisschen schwanger, sie stiehlt mir meinen Umfang, um sich selbst zu vergrößern. Sie versucht, meine Schönheit zu zerstören, sie will mich ruinieren. Sie weiß genau, dass Ismail dünne Frauen nicht ausstehen kann.«
Ich sehe sie mit offenem Mund an. Soll ich darauf hinweisen, dass um diese Stunde alle Schatten dünner werden, weil die tief stehende Sonne sie verlängert, oder wäre das unklug? Ich habe sie noch nie so außer sich gesehen. Einen Moment lang, aber nur einen Moment, tut sie mir leid. Ich kann nachempfinden, was sie fühlt; es ist, als hätte jemand unser beider Gefühle vereitelt.
Die Freude des Sultans über Alys ist nur von kurzer Dauer, da ihn andere Sorgen plagen. Die Kaids melden immer größere Zahlen von Toten in der Stadt. Sie haben eine Methode entwickelt, die mithilfe von Strichlisten und Mittelwerten alarmierende Resultate liefert. Nach dem neuesten Bericht erklärt Ismail plötzlich, dass er und ausgewählte Mitglieder seines Haushalts sich vorübergehend in die Berge zurückziehen werden, bis die Pest abklingt.
Zunächst klingt diese Idee reizvoll, nicht mehr als ein Ausflug, ein verlängertes Picknick – doch seine Picknicks können hoch komplizierte Angelegenheiten sein mit einem ganzen Bataillon an Personal, goldenen und silbernen Tellern, Teekesseln, Herden von Maultieren für die auserwählten Gespielinnen aus dem Harem, Scharen von Musikern und unzähligen Körben, in denen Ismails geliebte Katzen mitgeführt werden. Alle sollen an dem Vergnügen teilnehmen. Ismail selbst kommt am liebsten in einer vergoldeten Kutsche, die von acht seiner Lieblingskurtisanen gezogen wird. Ich erinnere mich an einen Vorfall, bei dem eine der Katzen die Kühnheit besaß, ein königliches Kaninchen zu erlegen, und sich anschließend ungerührt daranmachte, es zu fressen, vor den Augen des Sultans, als wollte es sich am Picknick beteiligen. Ismail ließ der Katze ein Halsband anlegen, sie auspeitschen und durch die Straßen der Stadt schleifen, weil sie es gewagt hatte, sich an königlichem Eigentum zu vergreifen.
Es wird verkündet, dass der König nicht nur seinen persönlichen Haushalt, sondern auch zweihundert auserwählte Frauen aus dem Harem, siebenhundert Wachen und sein stehendes Heer mitnehmen wird. Das bedeutet, dass ein Großteil von dreißigtausend Männern, Frauen, Kindern und Eunuchen in die Berge zwischen Meknès und Marrakesch aufbrechen wird.
Für eine solche Zahl Vorkehrungen zu treffen übersteigt selbst die Ressourcen des Großwesirs. Ich schwöre, dass er in der letzten Woche so viel Gewicht verloren hat, wie ein Schaf auf die Waage bringt. Von morgens bis abends rennt er im Palast hin und her, um diese oder jene Zulieferer zu treffen, den Transport und die Unterbringung zu organisieren und Verträge mit Stammesführern zu schließen, auf deren Unterstützung wir unterwegs angewiesen sind. Ich habe gehört, dass allein für den Transport des königlichen Goldes ein Dutzend Wagen und vier Dutzend Ochsen benötigt werden – der Rest soll in Geheimkammern versteckt und von Geistern und Flüchen
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