Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Nichts auftauchen und über uns kreisen.
Viertausend Mann verloren wir an diesem Tag, die Blüte der Meknassi-Truppen, die Besten unter den bukhari . Ein Kampf auf unbekanntem Gelände gegen erfahrene Bergbewohner: Welche Chance hatten sie?
Als er mich kommen sieht, hält der Sultan mich zuerst für einen lebenden Toten. »Ah, Nus-Nus, werde ich auch dich verlieren?« Als er begreift, dass das Blut – größtenteils – nicht meins ist, führt er mich zu einem Fluss und hilft mir eigenhändig, es abzuwaschen, bevor er mich umarmt wie ein Vater. Ich weiß nicht, was ich tun oder sagen soll: Ich habe Angst, dass sein Verstand nicht richtig funktioniert. Später fällt mir ein, dass ich für ihn vielleicht all die armen, treuen bukhari repräsentiere, die er an diesem Tag verloren hat, seine loyalen Soldaten aus den Ebenen und Urwäldern meiner Heimat, und dies seine Art ist, Buße zu tun, weil er sie in den Tod geschickt hat.
Ismail bleibt nichts anderes übrig, als um Frieden zu bitten. Selbst er sieht ein, dass wir die Ait Atta auf ihrem eigenen Territorium nicht besiegen können. Einige Stammesführer kommen aus den Bergen, und der Sultan schlachtet mit eigener Hand ein Kamel zu Ehren des Versprechens, dass die Berber von jetzt an ihre Eigenständigkeit bewahren können und keine Steuern zahlen müssen. Als Gegenleistung schwören die Stammesfürsten Loyalität gegen den gemeinsamen Feind: die Christen. Es sind leere Versprechen, das wissen wir alle; sie dienen nur dazu, das Gesicht zu wahren. Die Berber sind so gewieft, dass sie ohnehin keine Steuern bezahlen, und vermutlich wird auch nie ein christliches Heer dieses abgelegene Gebiet des Königreiches bedrohen. Doch umfasst die Vereinbarung auch sicheres Geleit durch die Täler des Hohen Atlas. Es ist bitter für den Sultan, eine scharfe Demütigung. Uns allen ist bewusst, dass er sie weder vergessen noch verzeihen wird.
DREIUNDZWANZIG
Alys
M ein Sohn ist da! Kaum zu glauben, dass ein so perfektes Wesen aus einer solchen Verbindung hervorgehen kann, ganz zu schweigen von der blutigen Aufgabe, ihn zur Welt zu bringen. Stundenlang sehe ich ihn an, als könnte er jeden Moment verschwinden wie ein Traum. Ich betrachte seine großen Augen und die seidigen Locken, seine winzigen Füße, jeder Zeh eine Miniatur, komplett mit Knöcheln und Nägeln. Seine Haut hat eine Farbe, die ich nicht genau beschreiben kann: wie helle Sahne mit Kaffee vermischt, das feine Innere einer Mandel, die Tönung eines Hühnereis oder der weiche Flaum unter dem Gefieder einer Henne – all das und nichts davon. Und mitten in diesem hellen Olivbraun leuchten die kornblumenblauen Augen. Er kann brüllen wie am Spieß und hat den Appetit eines kleinen Löwen. Was für ein Wunder der Natur er ist, mein bezaubernder kleiner Mischling! Hat je eine Frau ein so außergewöhnliches Baby geboren?
Selbst in diesem Moment, in dem all diese Gefühle mich erfüllen, weiß ich, dass jede Frau so empfindet, wenn sie Mutter wird, und dass ich jegliche Objektivität verloren habe. Aber das ist mir egal. Dieses Kind ist ein Wunder, und ich bete es dermaßen inbrünstig an, dass es mir vorkommt, als wäre es mein eigenes Herz, das da vor mir liegt und schläft. Doch manchmal verwandeln sich die heißen Wonneschauer in Eis, und dann packt mich die Angst, dass meinem Sohn etwas zustoßen könnte. Wenn mich diese Panik erfasst, wage ich kaum, ein Auge zuzutun.
Er heißt Mohammed. Das war nicht meine Entscheidung, sondern ist der übliche Name für den Erstgeborenen. Ich nenne ihn Momo.
Zidana besucht mich jeden Tag unter dem einen oder anderen Vorwand, und jeden Tag muss sie aus unerfindlichen Gründen Momo aus den Windeln holen und genauestens inspizieren. Sie nimmt ihn auf den Arm und betrachtet mein Kind mit einem sehr seltsamen Ausdruck, dann gluckst sie in sich hinein und geht ohne ein Wort wieder hinaus. Häufig schickt sie mir kleine Geschenke – geröstete Nüsse oder andere Leckereien und einmal, denkwürdigerweise, ein Gericht aus gezuckerten Heuschrecken – aber ich werde mich hüten, etwas zu essen, das von ihr kommt, und lasse nicht einmal Amadou davon probieren, trotz Nus-Nus’ Anweisungen.
Es ist aber nicht nur Zidana, die mein Kind so merkwürdig ansieht. Auch der Affe sitzt häufig neben mir, wenn der Kleine auf meinem Schoß schläft, und beäugt die winzige Gestalt mit einem so unverhohlen drohenden Ausdruck, dass ich befürchte, er könnte ihm ernsthaft etwas antun, wenn ich die
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