Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
sei Dank, alles andere als gute Schützen. Bislang haben sie kaum jemanden von uns mit einem Schuss erledigt; viele aber sind abgerutscht und haben den Halt verloren. Gerade will ich mich mit diesem Gedanken trösten, als ich aufblicke und sehe, wie es auf den Vorsprüngen über uns vor Berbern wimmelt, die ihre langen Gewehrläufe auf uns richten. Es scheint fast so, als brächte der Berg Sekunde für Sekunde neue Stammesangehörige hervor.
Sowohl oben wie auch unten erwartet mich der sichere Tod. Ich halte inne, presse die Stirn an den kalten Felsen und höre das Blut in meinen Ohren pochen.
Gott steh mir bei! Mein ganzer Körper zittert mittlerweile, die Muskeln sind von einem unkontrollierbaren Beben erfasst, das von Sekunde zu Sekunde schlimmer wird. Sogar meine Zähne klappern. Wenn das so weitergeht, wird allein dieses Zittern dafür sorgen, dass ich abstürze.
»Weiterklettern!«
Die Stimme ist vertraut, doch in diesem Augenblick könnte sie Gott selbst gehören, und es wäre mir gleichgültig.
Dann erscheint neben mir ein Gesicht: schmal, dunkel, aufmerksam, die Augen erfüllt von einem glühenden inneren Licht. Er grinst, sodass ich seine Zähne sehe. Es ist ben Hadou. »Nur Mut, Nus-Nus! Weiter zum Sieg. Oder zum Paradies, je nachdem, wie es für dich geschrieben steht.«
Ich hätte diesen Mann nicht für einen Eiferer gehalten, aber es sieht wirklich so aus, als machte ihm die Sache Spaß. Einen Augenblick lang hasse ich ihn noch mehr als den verrückten Sultan, der mich hier hinaufgehetzt hat.
»Na los, Junge, mach schon! Und hör auf nachzudenken. Denken führt einen Krieger nur ins Verderben.«
Also weiter mit meiner Kriegermaske, weiter mit dem kponyungu . Ich zwinge meine verräterischen Glieder zum Gehorsam und klettere weiter, blind, idiotisch, meinem Verhängnis entgegen.
Eine Stunde später finde ich mich unter den Überlebenden wieder. Wir waren die Stärkeren; zumindest haben die Berber sich zurückgezogen und uns ihre erste Verteidigungslinie, Proviant und eine Menge Vieh hinterlassen. Denjenigen, die die Angriffswelle ausführten, ist es schlechter ergangen: Eine Spur von zerfetzten Körpern zeugt von der Fahrlässigkeit des Angriffs. Hunderte von Gefallenen, wozu? Um einen unerreichbaren Felsgipfel, ein paar Säcke Getreide und eine Herde schäbiger Schafe zu erobern. Trotzdem sind wir, die so weit gekommen sind, von fiebriger Energie und einer Hochstimmung erfüllt, in der alle Zweifel und Ängste verpuffen. Triumphierend steigen wir über einen breiten Felsspalt zwischen den Bergen ab und treiben, beflügelt von der Aussicht auf gerösteten Lammbraten, die Schafe vor uns her.
Niemand ist darauf vorbereitet, was dann passiert. Die Berber stürzen sich von allen Seiten gleichzeitig auf uns und stoßen dabei ein Geheul aus, als wären sie djenoun . Innerhalb von Sekunden ist die Luft von Musketenrauch und dem Geschrei der Sterbenden erfüllt – Männern wie Schafen. Ich tue das, was ben Hadou mir geraten hat, und höre zu denken auf. Das heißt, ich lasse meinen Körper für mich denken, denn er scheint besser zu wissen, was nötig ist, als ich. Der Erste, den ich töte, ist mit einem langen Messer bewaffnet, doch meine Reichweite ist größer. Der Zweite stürzt sich mit einem Knüppel auf mich: Ich stolpere, sein Schlag geht an mir vorbei, und als es ihm nicht gelingt, ihn abzumindern, gerät er ins Wanken, und mein Schwert erwischt ihn – mehr zufällig als mit Absicht – am Hals. Im nächsten Moment ergießt sich ein Schwall von seinem Blut über mich. Ich erinnere mich an die Leiche, die mein Herr, der Arzt, sezierte, und noch während ich den Angriff eines Mannes mit blutbeflecktem Turban abwehre, taucht der Begriff Halsschlagader in meinem Kopf auf und verschwindet dann wieder – wie ein Pulsschlag. Dem Mann neben mir stoße ich die Klinge zwischen die Rippen, während er versucht nachzuladen, und danach verliere ich den Überblick und schlage nur noch auf alles ein, was sich bewegt. Dabei schreie ich, als wäre ein Dämon in mich gefahren, oder aus Todesangst, und merke nicht einmal, wie ein Messer über meinen Rücken fährt und eine Wunde von Schulterblatt zu Schulterblatt hinterlässt.
Irgendwann müssen unsere Gegner erneut verschwunden sein, um sich in die Bergfestung zurückzuziehen, denn Chaos und Gemetzel weichen nach und nach einer unheimlichen Stille, unterbrochen nur vom Stöhnen der Verwundeten und dem erwartungsvollen Kreischen der Aasgeier, die wie aus dem
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