Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Geschmack auf den Grund zu kommen. Ein reicheres Aroma als der übliche Minztee, weniger süß. Ich schlucke und spüre, wie die Flüssigkeit durch meine Speiseröhre in den Magen rinnt und alles auf dem Weg dorthin erwärmt.
Als ich wach werde, ist mein Kopf schwer wie Blei. Ich habe das Gefühl, als hämmerte es darin, und kann keinen klaren Gedanken fassen. Ich blinzele und versuche, mich zusammenzureißen, aber es ist dunkel im Zelt und unnatürlich still. Eine Weile liege ich auf meinem Diwan und habe das Gefühl, dass sich etwas verändert hat. Im trüben Licht sehe ich mich um. Auf den ersten Blick ist alles so wie immer, doch dann nehme ich die Leere wahr, als fehlte etwas. Ich fahre hoch: zu schnell. Alles dreht sich. Als die Welt sich wieder beruhigt, zünde ich mit zitternder Hand und in plötzlicher Panik die Laterne neben mir an und halte sie hoch. Ihr heller Schein fällt auf das golden schimmernde Bettchen, in dem mein kleiner Engel schläft. Doch als das Licht weiterwandert, wird die Stille von einem kreischenden Schnattern zerrissen, und ich schreie unwillkürlich auf. Da liegt kein Kind, nur der Affe, mit dem goldenen Kettchen um den Hals. Der Ring funkelt im Licht, als er in Bewegung gerät. Seine Augen glitzern triumphierend.
»Momo?«
Meine Stimme ist heiser und zittrig, gewinnt jedoch bald an Kraft. »Momo?« Sie erhebt sich zu einer Wehklage.
Auf unsicheren Beinen renne ich aus dem Zelt. »Mein Kind! Waladi! «, rufe ich. »Sie haben mir mein Kind weggenommen.«
Frauen kommen angelaufen, doch Makarim, meine Sklavin, ist nirgendwo zu sehen.
»Vielleicht hat sie ihn mit zu den anderen Kindern genommen«, sagt eine.
»Vielleicht wollte er nicht schlafen, und sie trägt ihn herum.«
»Vielleicht sind sie im Hamam. Wir gehen mal nachsehen.«
Doch andere wechseln vorsichtige Blicke und glauben, dass ich es nicht merke.
Blindlings renne ich von Zelt zu Zelt, stoße gegen Möbel, werfe Decken beiseite und heule wie ein Tier. Mein Gesicht ist von Tränen verschmiert. Wieder hinaus in die Dunkelheit. Von irgendwoher habe ich plötzlich ein Messer in der Hand, ein dekoratives Ding. Damit fuchtele ich herum, trunken vor Angst. Es ist die ma’alema , die mich schließlich am Arm nimmt. »Beruhige dich, lalla . Pst, ganz ruhig.«
Erleichtert, dass jemand sich der Verrückten angenommen hat, zerstreuen sich die anderen wieder.
»Weißt du, was sie mit ihm gemacht haben? Weißt du, wo er ist?«
Sie zuckt zusammen, als sie das glänzende Messer an sich vorbeisausen sieht. »Komm mit, aber leise, und steck dieses Ding weg.«
Sie führt mich auf die Rückseite der Zelte. Für eine so große Frau ist sie erstaunlich agil, und auch ihre Augen müssen ausgezeichnet sein, denn sie kommt kein einziges Mal ins Stolpern. Beim Gehen lausche ich auf das Schreien meines Kindes. Das der anderen kann mich nicht ablenken, denn die Geräusche eines Babys sind für eine Mutter ebenso unverwechselbar wie sein Aussehen. Und trotzdem sehe ich ihn, während ich die ganze Zeit horche, reglos in einem Haufen Stoff, abgelegt und leblos. Oder als kleines Bündel im Misthaufen vergraben. Oder irgendwo am Berghang den Wölfen und Schakalen zum Fraß vorgeworfen. Und immer, wenn ich an solche schrecklichen Dinge denke, muss ich leise stöhnen. Ich kann es nicht verhindern: Selbst wenn ich die Lippen fest aufeinanderpresse, zittern sie so sehr, dass kleine Laute aus ihnen dringen.
Am Ende schleichen wir um ein Zelt herum, aus dem laute Musik dringt und das verschwenderisch mit Samt und Seide geschmückt ist, schöner noch als das des Sultans. Das und die Tatsache, dass wir keinen Haremswächtern begegnet sind, sprechen dafür, dass es Zidanas Zelt ist. Der Kerzenschein im Innern wirft die Schatten tanzender Gestalten mit erhobenen Händen an die Wände, und plötzlich erscheint es mir obszön, dass andere fröhlich und unbeschwert sein können, während ich mein Kind suche. Die ma’alema legt einen Finger auf den Mund und deutet dann auf ein kleineres Zelt, nicht weit von dem der Herrscherin entfernt. Als sie sieht, dass ich es mir gemerkt habe, nickt sie einmal und geht rasch davon.
Ich schleiche mich näher, lausche einen Augenblick, schneide dann mit dem Messer einen Schlitz in die Zeltwand und spähe hinein. Es ist ein Vorratszelt: Säcke und Gefäße mit Mehl, Butter und Honig; Kegel aus Zucker und Salz. In der Nähe des Eingangs sitzen zwei Frauen auf Schemeln und beugen sich über ein Glasgefäß auf einer kleinen
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