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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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standen um etwa vier Uhr früh um den Tisch der
Finalisten
, für den sich leider auch der Besitzer des Kaffeehauses qualifiziert hatte, der aber dann zum Glück nicht gewann. Umjubelte Siegerin wurde ein aus Amerika stammender junger Koloratursopran des Stadttheaters.
    Jahre danach wurde im Kaffeehaus noch erwogen, diese Veranstaltung zu wiederholen. Zum Glück ergriff keiner die Initiative. Man darf die Erinnerung an unsterbliche Ereignisse nicht aufs Spiel setzen.
    Nach diesem Turnier saßen der Dichter und der Croupier im Kaffeehaus des Öfteren zusammen. Sie begannen eine Menge Freizeit miteinander zu verbringen. Der Croupier nahm den Dichter zu Pferderennen mit, wohin der sonst wohl nie gekommen wäre, setzte einmal sogar für ihn und gewann ihm einen kleineren Betrag, den der Dichter gut brauchen konnte.
    Sie fanden Interesse aneinander, an ihrer Herkunft, ihren Denkweisen.
    Der Croupier war für den Dichter eine Information aus einer anderen Welt. So sagte er einmal, als sie beim Spaziergang an einem Teppichladen vorbeikamen: »Schau, ein schöner Schiras.« Ein anderes Mal erklärte er, als er am Dichter schwarze Socken bemerkte, ein Herr trüge seiner Ansicht nach schwarze Socken nur zum Smoking und bei Begräbnissen, korrekt wäre ansonsten Dunkelgrau. Er konnte den Unterschied in der Machart von Mohair und Kammgarn unangestrengt erklären und auch begründen, warum er, wenn er einen weißen Franzosen wählte, die Weine der Loire-Gegend bevorzugte. Der Dichter, der zu Anlässen, bei denen Weine gewählt werden mussten, immer Gast des Croupiers war, hörte gut zu. Er bewunderte den Weltmann am Croupier nicht aus der Position des Provinzlers, er nahm nur bewusst die Chance wahr, sich etwas aus der begüterten Welt lehren zu lassen.
    Der Croupier war, wie er erzählte, schon viel herumgekommen. Nachdem er nach dem Abitur die angesehene, als sehr schwierig bekannte Hotelfachschule absolviert hatte, war er Kellner, recht bald in leitender Funktion, also Maître, in ersten Häusern feudaler Urlaubsregionen gewesen. Warum er den Beruf gewechselt hatte, begründete er nie, und der Dichter vergaß auch, genau danach zu fragen.
    Ihn faszinierte der Stil seines neuen Freundes. Der Croupier fuhr einen englischen Wagen der gehobenen Klasse, den zu fahren Manager für gewöhnlich als unvernünftig bezeichnen, da er im Verhältnis zu den deutschen Konkurrenzprodukten einfach als zu teuer gilt, aber gerade diese beiläufige Exklusivität schien der Croupier an seinem Auto zu schätzen.
    Tauchte er nächtens, nach seinem Dienst im Casino, noch in einer Pinte auf, kam er immer mit dem Taxi. Sparen musste er sichtlich nicht. Das begründete er mit dem guten Verdienst der Croupiers und mit diversen Nebengeschäften mit Antiquitäten, von denen er eben viel verstand.
    Der Croupier, um einiges älter als der Dichter, hatte ein Verhältnis mit einer wiederum ein wenig älteren Frauenärztin, bei der er auch wohnte. Die ruhige elegante Frau beteiligte sich nie an Ausflügen der beiden Männer. Zum Finale eines Tennis-Turnieres kam sie einmal mit, hatte aber am Ausgang der Partie kein größeres Interesse. Ihr Interesse war es, ihrem Freund ein kultiviertes Haus zu führen. Im ersten Stock einer Villa – im Parterre hatte sie ihre Praxis – gab ein mit Original-Thonetmöbeln eingerichtetes Zimmer mit verglastem Erker den Blick auf den Fluss frei. Vor dem Uferweg sah man alte Kastanienbäume, auf der anderen Seite des Flusses die schönste geschlossene Häuserzeile der Stadt.
    Kultur
fiel dem Dichter ein, als er vom Croupier zum ersten Mal, an dessen freiem Tag, zum Abendessen nach Hause eingeladen worden war, Kultur. Als er das Gefühl hatte, damit seine künstlerische Weltansicht an schiere bürgerliche Konvention zu verraten, vertauschte er in Gedanken das Wort Kultur mit dem Wort
Stil
.
    Die Frauenärztin war eine exzellente Köchin, sie käme selten dazu, sagte sie, aber es sei ihr großes Hobby. Sie war auch eine Musikkennerin, hatte den Croupier auf diesem Gebiet weitergebildet, so dass der seinem Freund – ja, er hatte ihn bei der Frauenärztin mit den Worten: »Darf ich dir meinen Freund vorstellen?« eingeführt – sagen konnte, er hielte diesen oder jenen für einen außergewöhnlichen Dirigenten.
    Man hörte nach der Mousse Mozart.
    Der Dichter verlor an diesem Abend jede Scheu, nach Art und Abkunft mancher innenarchitektonischer Preziose zu fragen, und als sich sein Blick an einem prachtvollen chinesischen

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