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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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zusah, wie der es mit den Mädchen anstellte und wie er ihn sehr bald übertraf. Sie begannen in Episoden zu schwelgen und zu schweinigeln, was die Zoten- und Fäkalsprache nur hergab.
    Sie übersiedelten an den Rand des Bades, wo der Platz für Ballspiele immer noch derselbe war, allerdings mit besserem Rasen und richtigen Toren versehen. Sie hockten sich hinter ein Tor und beschimpften sich, weil jeder behauptete, der mit Abstand bessere Fußballer gewesen zu sein.
    »Ich akzeptiere, dass du ein Genie bist und ich ein Kaffeesieder, aber beim Kicken warst du leider eine Vollniete.«
    »Das sagt ein Mensch, der sein Leben lang zwei linke Füße gehabt hat, und die verkrümmt, wie man heute noch sieht.«
    »Das ist das Schicksal von Dichtern: sie verlieren den Blick für die Realitäten.«
    Beide fanden, eine große Dürre sei im Anzug, und schlenderten – ein Herz und eine Seele – in Richtung Bier.
    Am Nachmittag schlief der Erzähler im Hotel seinen Rausch aus und machte sich dann frisch für die Essenseinladung im Hause des Bruders.
    Der Erzähler schätzte an seiner Schwägerin immerhin deren Kochkünste.
    Man machte Programm für den nächsten Tag, legte fest, wann sich der Erzähler bei den Eltern melden sollte, wie man den Ehrenbürger und seine Frau zur Feier geleiten und es diszipliniert vermeiden würde, je über das der Stiftung vermachte Geld zu reden, mit der diese Ehrung erkauft war.
    Die Schwägerin fragte, ob sie nicht noch Kaffee kochen solle, bevor sie mit den üblichen Begründungen für ihr Müdsein gute Nacht sagte.
    Die Brüder wollten keinen Kaffee, ihnen war nach einem abschließenden Schluck Kognak. Den tranken sie jetzt nicht mehr so verrückt, sondern langsam, kultiviert. Jetzt plauderten sie auch in einem Ton, der diesem gediegenen Bürgerhaushalt angemessen war. Der Bruder erzählte von der Qualität eines neu engagierten Patissiers, vom Erfolg des Lokals beim verjüngten und doch konsumierfreudigen Publikum und rückte die hemmungslose Begeisterung seiner Frau über die entwachsenen Kinder liebevoll ein wenig zurecht.
    Der Erzähler berichtete von Erfahrungen mit diesem einem Kaffeehaus vergleichbaren gastronomischen Betrieben im Ausland, meinte die eine oder andere Erneuerung anregen zu sollen, der Bruder aber reagierte auf Vorschläge in seinem Bereich mit einem fachmännischen »Das geht bei uns hier nicht«.
    Als dann der Bruder nach dem nächsten literarischen Projekt des Erzählers fragte, berichtete der von einem in Arbeit befindlichen Geschichtenband.
    Er griff in die Brusttasche und zog etwa zwanzig Manusseiten heraus.
    »In diesem Buch wird eine Geschichte drinstehen, über einen Naziarzt und dessen Sohn, du brauchst keine Angst zu haben, sie ist nicht lang, aber ich möchte, dass du die Geschichte kennst, bevor sie gedruckt wird.«
    »Lies vor!«, sagte der Bruder des Erzählers.
    Der Erzähler beendete die seiner Meinung nach besonders gelungene und daher sicher und gut vorgetragene Geschichte.
    Der Bruder des Erzählers sagte ganz ruhig: »Ich bringe dich um! Wenn diese Geschichte erscheint, bringe ich dich um!«
    Der Erzähler sah seinem Bruder in die Augen, wollte ergründen, wie viel an diesem Satz Ernst und wie viel Spaß war. Der Mund des Bruders lächelte leicht, in den Augen stand tödliche Entschlossenheit.
    Die Betonung liegt auf tödlich, dachte der Erzähler. So hat er noch nie mit mir gesprochen.
    Der Bruder stand auf, ging im Zimmer auf und ab und bemühte sich, beherrscht zu bleiben. »Bist du irrsinnig? Ihn willst du treffen, mich triffst du. Glaubst du, der merkt nicht, wer da wer ist? Der merkt das genau. Und wem fällt alles auf den Kopf? Mir. Du bist dahin. Ich hab sie auf dem Hals. Jeden Tag. Jeden Tag wird der Alte sagen:
Warum tut er mir das an? Was ist das für ein Kind? Habe ich ihm je etwas getan außer Gutes?
Die Mutter wird daneben stehen und sagen:
Warum tut er ihm das an? Er hat ihm doch immer nur
…«
    Der Bruder bekam einen Wutanfall. Er brüllte, allerdings so leise, dass er seine Frau nicht weckte.
    »Du hast deine läppische kleine Rache und ich die Scheiße am Hals. Spinnst du, sag einmal, spinnst du? Er wird Herzanfälle haben, aus Kummer natürlich, er wird mir sagen, er kann nicht mehr auf die Straße gehen, weil die Leute
mit Fingern
auf ihn
zeigen
, du willst ihn umbringen, wird er sagen, du hast schon immer nach seinem Leben getrachtet. Und ich soll ihn dann womöglich beruhigen: Lieber Vater, das hat mein Bruder nicht so gemeint,

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