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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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bemerken würde, ein kardinales Problem, das Selbstmordmotiv des jungen Helden, eines dem bürgerlichen Bildungsgang entronnenen jungen, hochtalentierten Schauspielers. Das Selbstmordmotiv in der Romanvorlage, führte der Mentor aus, sei eine blöde Eifersuchtstragödie, eine erotische Depression, was den ganzen Stoff, ob in die Gegenwart übertragen oder nicht, abwerte. Die Herausforderung für den Bearbeiter müsse sein, den Selbstmord des Helden heutig zu motivieren.
    Jetzt hatte der Talentierte – man war beim Apfelstrudel – das starke Gefühl, dran zu sein, hatte er doch bei der zusammenfassenden Schilderung des Typus des Romanhelden das beklemmende oder auch amüsierte Gefühl, selbst gemeint sein zu können, verspürte er beim Thema Selbstmord doch eine ausgewachsene Kompetenz. Er entwickelte, bei zunehmender Begeisterung des Mentors, eine Reihe tödlicher psychologischer Motive für einen jungen Menschen, wie er selbst einer sein könnte. Viel wusste er zu erzählen von Isolation in einer anonymen Stadt, von beruflicher und existenzieller Sinnkrise vor und in einer Welt des provinziellen Unverstandes.
    Bei Kaffee und Kognak sagte der Mentor, genau diese Sensibilität sei seinem Freund, dem großen Satiriker, am Talentierten aufgefallen. Dann begann er von seinem Verhältnis zu diesem Freund, dem großen Satiriker, zu erzählen.
    Später, als man alle organisatorischen Dinge auf die unkomplizierteste Art besprochen hatte – der Talentierte hatte das Gefühl, sich auf den Mentor völlig verlassen zu können –, landeten die Soli des Mentors im Anekdotischen, etwa bei der Erwähnung, er habe einmal die Freundin seines Freundes, des großen Satirikers, geheiratet, was aber nur kurz zur Trübung der Beziehung führen konnte.
    Der Talentierte wollte wissen, in welcher Form der große Satiriker die Empfehlung abgegeben hätte. Es wäre in einschlägiger Runde über die Probleme der Fernsehdramatik diskutiert worden, und wie er, der Mentor, sein Klagelied über die fehlenden jungen Talente gesungen hätte, wäre er von seinem Freund, dem großen Satiriker, eben wieder einmal mit einem Hinweis, einem Namen, einem Vorschlag belehrt worden. Der Talentierte meinte aus dieser Schilderung herauszuhören, der Mentor könne es sich irgendwie nicht leisten, auf seinen Freund, den großen Satiriker, nicht zu hören, und. eine sehr beiläufige Zwischenbemerkung wie »… sonst sagt er wieder zu meiner Frau, ich lasse mir nichts sagen …« deutete in diese Richtung.
    Die erste und tatsächlich folgenreiche Begegnung mit dem Mentor wurde durch die Sachzwänge des Fahrplanes der Eisenbahn beendet.
    Der Talentierte ging taumelig in Richtung seines Arbeitsplatzes in der Dramaturgie der
Städtischen Bühnen
. Hinter der Erinnerung an die eben beendete erste Begegnung mit dem Mentor tauchte übermächtig die an die mit dem großen Satiriker auf, hatte sie doch eben erst ihre möglicherweise lebensentscheidende Bedeutung erlangt.
    Es war noch nicht so lange her, dass der große Satiriker auf seiner Gastspielreise im Schauspielhaus auch auf dieser städtischen Bühne gastierte. Der große Satiriker, ein nach Ansicht des Talentierten zu Recht hochgerühmter Könner, hatte die Gewohnheit, sich nach seinen Vorlesungen mit – wie er liebenswürdigerweise immer sagte –
Kollegen
zu umgeben, sich mit einer an seinen politischen und künstlerischen Enthüllungen oder auch nur seiner Nähe interessierten Tischrunde in den Schlaf zu trinken. Heute noch erzählen in vielen Städten dort immer noch berufstätige
Kollegen
, wie sie den großen Satiriker durch den Park getragen, durch das Hotelfoyer geschoben und im Lift abgestellt haben.
    In dieser scheußlichen Industriestadt war es der Talentierte, der nach dem Gastspiel des großen Satirikers als Letzter für Stützdienste zur Verfügung stand. Diese waren aber diesmal nicht so sehr gefordert wie schlichte Wegweisung. Zum Hotel zu gelangen war nämlich weniger das Problem, als es überhaupt zu finden. Der Nebel hatte wieder einmal alles unsichtbar gemacht.
    Die beiden Männer staksten betrunken durch das Ungefähre, die Richtung mehrfach diskutierend und wieder ändernd. Sie hatten Zeit, ihr Gespräch zu vertiefen. Der große Satiriker hatte im Lokal schon die meisten seiner Geschichten erzählt und war nun auch gewillt, sich die des Talentierten anzuhören. Er hatte sofort gemerkt, dass der Talentierte ein für ihn interessanterer Gesprächspartner war als der übrige Schwanz von

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