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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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Zugstunden entfernt. Der junge Mann war schon dort gewesen, aber nicht aus beruflichen Gründen. Diese Fahrt war die erste in Sachen Karriere. Er genoss das Gefühl beim Aussteigen: Man hat mich gerufen, ich bin hier, man wird sehen, was ich für die Welt tun kann.
    Mit der Lässigkeit des Fernsehkommissars nannte er dem Taxifahrer die Adresse der Agentur.
    Bald darauf saß er einer etwas dicklichen, sehr gepflegten Dame gegenüber, die einen leichten, von ihm nicht zu bestimmenden Akzent sprach.
    »Ich vertrete seit vielen Jahren«, begann die Agentin das Gespräch, während ihre Sekretärin Kaffee einschenkte, »neben den anderen Damen und Herren, die Sie da sehen« – der Blick des jungen Mannes schwenkte eine kleine, exklusive Fotogalerie ab –, »vor allem auch …«, und sie nannte den Namen der
großen alten Dame von Film und Fernsehen
, den Namen jener Frau, der, wie der junge Mann wohl wusste, Fernsehproduzenten und Programmdirektoren winselnd zu Füßen lagen. Und dieser großen alten Dame von Film und Fernsehen sei die Mutterrolle in dem so völlig verunglückten Film, zu dem der junge Mann das erste Drehbuch geschrieben hatte, angeboten gewesen.
    Der junge Mann spürte, wie sich seine Muskeln am ganzen Körper spannten.
    Er erfuhr, die Agentin habe für ihre berühmte Klientin dieses erste Buch gelesen, habe die Zusage in Erwägung gezogen, weil sie das Buch ganz einfach brillant fand, dann habe sie gehört, diesem Buch würde noch eine Neufassung folgen, die habe sie dann auch gelesen und in klarer Voraussicht des Misserfolges im Namen der großen alten Dame von Film und Fernsehen abgesagt. Zufrieden äußerte die Agentin die Vermutung, dieser, einem schwachen, abgetakelten Regisseur hörige Produzent sei jetzt wohl endgültig pleite.
    »Aber«, erzählte sie, »ich habe mir damals Ihren Namen notiert, denn so viele Leute, die sensibel schreiben können, haben wir ja nicht. Ich habe mir damals gedacht, wenn ich einmal etwas weiß, schaue ich mir den Mann näher an, und jetzt weiß ich was.«
    Die Agentin griff in eine Lade, holte ein Bändchen heraus und streichelte es wie eine Pretiose.
    Durch Zufall wäre sie auf diesen Stoff gestoßen, beim Auflassen der Wohnung einer verstorbenen Tante, die hätte so eine Art von Memoiren ihres Großvaters aufgehoben, der gegen Ende des letzten Jahrhunderts Prinzipal einer Wanderbühne war, von denen es damals im Bereich der k. u. k.-Monarchie ja noch viele gab. Einer richtigen Schmiere, mit jährlich etwa denselben Gastspielorten, mit allen Problemen gegenüber der bürgerlichen Kleinstadtgesellschaft, allen internen Querelen und Freuden, der ganzen Romantik, aber auch Härte des Berufes und der Zeit. Dieser Großvater sei eine imponierende Figur gewesen. Jetzt hätte sie, erzählte die Agentin enthusiastisch, die grandiose Idee gehabt, die Schmierendirektorfigur in eine Schmierendirektorin, wohl die Witwe eines Schmierendirektors, umzudenken. Als sie der großen alten Dame von Film und Fernsehen erzählte, welch sensationelle, sechsmal einstündige Serie das werden könnte, war die große alte Dame – die bei Stoffen äußerst schwierig ist, wie man weiß – Feuer und Flamme. Mehr als das, die große alte Dame wurde sofort konkret. Sie hätte in zwei Wochen eine Stoffbesprechung mit dem Direktor der größten Fernsehanstalt, da müsste sie ein ausführliches Treatment in Händen haben, dann würde sie den Stoff durchsetzen.
    Dem jungen Mann war sofort klar: Sechsmal eine Stunde mit dieser großen alten Dame von Film und Fernsehen, was jedenfalls auch eine erstklassige Sendezeit bedeutete, als alleiniger Autor – das war der Aufstieg in die erste Liga. Das war die Chance. Das war der Durchbruch.
    Nur jetzt keinen Fehler machen, dachte er und entsann sich seiner hemmungslosen Begeisterung, als ihm der Spielfilm angeboten worden war.
    »Ich kann mir schwer vorstellen, dass ich das in zwei Wochen schaffe«, sagte er.
    »Das gefällt mir an Ihnen, dieses Professionelle«, die Agentin ließ ihre goldenen Armreifen vor seinen Augen rotieren. »Aber, wenn man will, geht alles. Und Sie wollen. Das weiß ich. Da brauche ich Sie nur anzusehen. Wissen Sie, in meinem Beruf kriegt man ein untrügliches Gefühl für Menschen.«
    Der junge Mann las die Vorlage während der Rückfahrt im Zug. Das betulich geschriebene Büchlein erzählte wohl einiges von den Lebensumständen der Wanderkomödianten; Geschichten, Episoden mit dem, was Fernsehanstalten damals und heute

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