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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schneyder
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Interviewte wankte, die Zeitung in der Seitentasche seines Jacketts, sturzbesoffen schon am helllichten Vormittag, zu seiner alten Schule, hielt sich mit beiden Händen am schmiedeeisernen Vorgartenzaun fest, glotzte über die zurückgeschnittene Rotbuche hinweg zu den Fenstern des zweiten Stockes hinauf, wo er hinter dem mittleren den Kopf des Professors wahrzunehmen meinte.
    »Demonstravimus?«, fragte er hinauf. »Demonstravimus?«

Kitsch
    Der Jungverleger hatte einen für ihn großen Tag hinter sich. Ihm war im Kultusministerium der »Staatspreis für Literaturproduktion« verliehen worden, für seine Reihe »Neue Realisten«, in der er mit Erfolg einige Schreiberinnen und Schreiber vorgestellt hatte, die bei renommierten, der großen Literatur verpflichteten Verlagen nicht untergekommen waren.
    Er hatte hoch gespielt, sich auf ein finanziell gar nicht mehr vertretbares Risiko eingelassen, auf ein Wunder gehofft und staunend gemerkt, dass es geschah. Und zwar von zwei Seiten her. In einigen Feuilletons schienen sich junge Damen und Herren gegen literarische Maßstäbe ihrer Altvordern auflehnen zu wollen, und aus Buchhandelskreisen hörte man Urteile wie »richtig gut lesbar«. Und »verkäuflich«.
    Publizistisch half ihm auch, dass sein Kleinverlag in der Provinz zu Hause war. Initiativen außerhalb der Metropolen werden – wie man weiß – allzeit gerne dazu benützt, auf Lethargie und mangelnde Innovation in den Metropolen hinzuweisen.
    Während der Laudatio des für Literaturförderung zuständigen Herrn des Ministeriums dachte der Preisgekrönte: Wie gut, dass der Mann nicht weiß, warum ich Verleger werden wollte. Ich wollte es nämlich, um
mich
zu verlegen. Ich habe, weil mich keiner wollte, im Eigenverlag verlegt und bin dann draufgekommen, dass ich mich in einem mir gehörenden Verlag nie publiziert hätte. Diese Erleuchtung war unendlich heilsam. Ich höre meine Freundin noch lachen, als ich ihr sagte: Weißt du, ich kann schreiben, aber ich habe nichts zu sagen. Und sie, die angehende Politologin, hatte geantwortet: Ein gänzlich unüblicher Denkansatz.
    So hat es begonnen, dachte er, als der Herr des Ministeriums von »stringenter Programmatik« oder auch von »programmatischer Stringenz« sprach.
    Der Staatspreis war nur eine indirekte Subvention, mit ihr schien ihm der Fortbestand seiner Reihe, vielleicht sogar die Vergrößerung des Programms möglich.
    Nach der Preisverleihung nahm der Jungverleger beim Buffet die Chance zu jedem Smalltalk wahr, von dem er sich für sein Unternehmen etwas erhoffen konnte. Es gab auch die eine oder andere nette Gratulation von Preisträgern aus den Gebieten Musikproduktion oder Galeriewesen. Manche hielten ihre Vorschläge, was aus ihrer Feder man dringend zu drucken hätte, nicht zurück.
    Dann machte der Jungverleger sich selbstständig. Er wollte diesen einen Tag in der Hauptstadt bis zur Neige auskosten. Er besuchte einige der wichtigen und ihm gewogenen Buchhändler, aß beim – laut einem Zeitgeist-Magazin – »Newcomer des Jahres«, war dann einer der wenigen zahlenden Zuschauer in einer einen Autor realisierenden Experimentierbühne, dessen Prosa er für seinen Verlag abgelehnt hatte. Zu Recht, dachte der Jungverleger, als er die zum Glück nicht allzu lange Vorstellung verließ.
    Jetzt stand er auf der Straße, es war ein lauer Septemberabend. Die Kleidung der Passanten und die Fülle des Korsos hätten auch auf August schließen lassen können. Der Anblick dieser wundersam von Brüsten ausgefüllten Shirts machte es ihm unmöglich, jetzt schon sein Hotelzimmer zu beziehen. Er bummelte. Ziellos, mit der Absicht, irgendwo hineinzufallen.
    Da sah er eine kleine, dezente Lokalaufschrift »Mala ulica«, kaum bemerkbar, weil eine Nuttenbar gleich daneben sich sehr grell an die Passanten wandte. »Mala ulica«, irgendetwas sagte ihm dieses Wort. Es fiel ihm ein, die Bar war schon einige Male in der Gesellschaftsspalte vorgekommen, in Zusammenhang mit Premierenfeiern oder Geburtstagsfesten eher angenehmer Szene-Zeitgenossen. Der Jungverleger meinte sich auch erinnern zu können, von einem Flügel gelesen zu haben, auf dem dieser oder jener gespielt hätte. Er betrat das Lokal.
    Es war tatsächlich eine traditionelle Pianobar, so rot, so plüschig und so abgewetzt, wie so ein Lokal zu sein hat. Beherrschend in der Mitte der wenigen Tische stand der schwarze Flügel, an der Gegenwand warteten einige Barhocker auf Hockende. Vorläufig vergeblich, wenn man von

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