Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
entzückt bin?«
Er klappte das Buch zu, stellte die Füße auf den Boden, beugte sich vor und funkelte sie an. »Ich wollte wissen, was du mit ›aus meiner vertrauten Umgebung herausgerissen und in eine Welt voll seltsamer Magie versetzt‹ gemeint hast.«
»In meiner Welt gibt es keine Zaubertränke, die es einem ermöglichen, mit einem Mal irgendeine merkwürdige Sprache zu verstehen. Dort, wo ich herkomme, glauben die meisten Menschen noch nicht einmal an Magie«, fügte sie
spitz hinzu. »Ich würde es ja selbst nicht glauben, wenn ich es nicht am eigenen Leibe erleben würde. Versteh mich nicht falsch – ich bin froh, mich verständlich machen zu können, aber alles, was mir zugestoßen ist, geschah ohne mein Wissen und ganz sicher ohne meine Einwilligung.«
Er starrte sie an. Und starrte. Und starrte. Ohne ein Wort zu sagen.
»Was ist denn?«, erkundigte sie sich gereizt. Es missfiel ihr, vom Blick dieser harten grauen Augen durchbohrt zu werden.
»Ich bringe meinen Bruder um«, grollte der Mann erbost. »Er weiß verdammt gut, dass interdimensionale Grenzüberschreitungen verboten sind, wenn eines der beiden Reiche keine Magie kennt!«
»Wie bitte?« Kelly hob ihre teilweise angesengten Brauen. »Wenn er derjenige ist, auf dessen Konto dieser Spuk geht und der mich quer durch ich weiß nicht wie viele Universen geschleust hat, dann kann ich nur beten, dass es hier noch jemanden gibt, der genau weiß, in welche Welt er mich zurückschicken muss, wenn du ihn umbringst. Aber ich lande hoffentlich nicht zu genau demselben Zeitpunkt dort, zu dem er mich weggeholt hat. Ich bleibe nämlich lieber hier in diesem verrückten Wunderland als da, wo ich herkomme, von Brandstiftern ermordet zu werden!«
Ihre letzte Bemerkung veranlasste ihren Wächter, finster die Stirn zu runzeln. »Jemand hat dieses Feuer absichtlich gelegt, um dich zu töten?«
»Ich habe leider keine hieb- und stichfesten Beweise dafür«, gab sie zurück. »Aber in der Stadt, in der ich lebte, gab es einen Haufen voreingenommener, ignoranter, scheinheiliger Typen, die glaubten, ich würde Hexenkünste ausüben – was hier ja offensichtlich an der Tagesordnung ist. In meiner Welt gilt das als Verbrechen.
Außerdem hassten sie mich, weil ich Mitglied einer Gruppe war, die sich mit den alten Sitten und Gebräuchen
unserer Kultur beschäftigte, und deswegen schikanierten sie nicht nur mich, sondern auch meine Kunden, trieben mich geschäftlich fast in den Ruin und schickten mir anonyme Hassbotschaften.«
Die bitteren Worte strömten unaufhaltsam aus ihr heraus. Er hörte ihr schweigend zu. Trotz der unterschwelligen Gereiztheit, die er ausstrahlte, schenkte er ihrer Geschichte jedoch entschieden mehr Beachtung, als es die Polizeibehörde in ihrer Heimat getan hatte. Und was er zu hören bekam, schien ihm ganz und gar nicht zu gefallen, denn seine Miene verfinsterte sich zusehends.
»Dann bekam ich Drohbriefe, Kopien historischer Hexenprozesse, in denen ausführlich beschrieben wurde, wie die verurteilten Frauen gesteinigt, gehängt oder auf dem Scheiterhaufen lebendig verbrannt wurden. Und letzte Woche hat jemand eine Henkerschlinge an meine Vorderveranda gehängt«, fügte sie hinzu, als sich seine Augen angesichts der grausamen Strafen, die in der Vergangenheit ihrer Welt über »Hexen« verhängt worden waren, zu schmalen Schlitzen verengten.
»Ich habe sie gefunden, als ich meinen Laden öffnen wollte, und den Schreck meines Lebens bekommen. Der maskierte Mann, der mich letzten Monat überfallen hat, hat mich vielleicht nur zufällig als Opfer auserkoren, aber als ich diese Schlinge sah, war das Maß voll«, fuhr Kelly fort. »Mir war klar, dass die Drohungen sich gezielt gegen mich richteten, nur hätte ich nie gedacht, dass meine Widersacher so weit gehen würden, mein Haus niederzubrennen – noch dazu in meiner Anwesenheit!«
Verdammt. Ihre Stimme drohte schon wieder zu brechen, und Tränen brannten in ihren Augen. Kelly biss die Zähne zusammen, wandte sich ab und gab vor, aus dem alles andere als sauberen Fenster zu starren, obwohl sie durch die Schmutzschicht auf dem Glas kaum etwas erkennen konnte.
Der Mann sagte nichts, und sie wagte nicht, sich zu ihm umzudrehen, weil sie nicht erneut böse Blicke ernten wollte. Ihr war in der letzten Zeit genug Hass entgegengeschlagen.
Saber für seinen Teil verspürte das dringende Verlangen, ihre Nachbarn eigenhändig zu erwürgen, auch wenn sie in einer Welt lebten, die nur
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