Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
Staubwolken stiegen in die Luft und ballten sich zu einer dichten graubraunen Wand zusammen.
Saber verfügte über beachtliche magische Fähigkeiten – er übertraf genau genommen die meisten Bewohner von Katan -, doch seine Begabung war mehr auf das Gebiet von Kriegs-, Angriffs- und Verteidigungszauber ausgerichtet als auf die Haushaltsführung. Allerdings hatte seine Mutter all ihre Söhne in dieser ihnen zutiefst verhassten Kunst unterwiesen, sobald sich deren Macht zu entfalten begann. Es war ihre Art gewesen, ihre aufsässigen Sprösslinge zu bändigen.
Er musste all seine Konzentration aufbieten, um das nächstgelegene Fenster auf dieser Seite des Raums zu öffnen und die Staubwolke entweichen zu lassen, ohne dass ihm die Frau dabei entglitt. Dann verhängte er noch einen Zauber, der Nager, Insekten und Spinnen vertrieb, weil ihm einfiel, wie zimperlich Frauen in solchen Dingen waren – vor allem seine Mutter Annia, erinnerte er sich, die vor neun Jahren gestorben war. Damals war ihr jüngstes Zwillingspaar erst vierzehn und Saber und sein Zwilling zwanzig Jahre alt gewesen. Der Ungezieferstrom, der sich quiekend, summend und brummend durch das Fenster nach draußen ergoss, jagte sogar ihm einen Schauer über den Rücken, obgleich diese Tiere wenigstens nicht gefährlich waren. Im Lauf der vergangenen drei Jahre hatten sie mit zahlreichen anderen, weitaus unerfreulicheren Plagen zu kämpfen gehabt.
Die Frau in seinen Armen seufzte, murmelte etwas, was er trotz des Sprachzaubers nicht verstand, und schmiegte sich an seine Brust, voller Vertrauen. Saber erstarrte. Wie lange war es her, seit sich eine Frau so vertrauensvoll an ihn gekuschelt hatte? Mehr als drei Jahre, so viel stand fest. Seit Morganens und Koranens Geburt – Saber war damals sechs Jahre alt – waren bereits erste böse Gerüchte über die acht Brüder in Umlauf gebracht worden.
Als er ein junger Mann gewesen war, hatten zwei Mägde ihn in die Freuden der Liebe eingeweiht, und eine junge Frau aus einer mit seinen Eltern befreundeten Familie hatte ihn als künftigen Gatten in Betracht gezogen. Doch etwa zu derselben Zeit war das jüngste Zwillingspaar in die Pubertät gekommen, und Koranen hatte sich mit einem Mal von allem, was mit Feuer zusammenhing, magisch angezogen gefühlt. Bald darauf hatten die Gerüchte über die Brüder in der gesamten Umgebung zugenommen, und die Frauen zogen sich von allen acht Geschwistern zurück, nicht nur von Saber. Und als Morganens magische
Kräfte wenig später offen zu Tage traten, sahen sich die Katanier aufgrund des alten »Liedes der Seherin«, das seine Familie verfluchte, in ihrer Furcht vor den vier Zwillingspaaren bestätigt.
Die sich an ihn schmiegende Frau rief Saber zwei Dinge unangenehm ins Gedächtnis: wie lange es her war, dass er eine Frau so in den Armen gehalten hatte, und wie gefährlich es war, sie näher an sich heranzulassen.
Trotzdem ließ er sie nicht einfach auf das Bett fallen, als habe er sich an ihr verbrannt. Stattdessen sorgte er mithilfe eines weiteren Zaubers dafür, dass das Bettzeug weder feucht noch schimmelig war, obwohl es nicht so aussah, als habe es in den vergangenen drei Jahren durch das Dach hindurchgeregnet. In den Ecken der Kammer hingen immer noch Spinnweben und Staubflocken, aber das Bett roch jetzt frisch und sauber.
Saber ließ den zierlichen Körper aus seinen Armen behutsam auf die Matratze gleiten, und da es ein warmer Sommertag war, nahm er nur eine leichte Decke, um die junge Frau zuzudecken. Dann zauberte er mit einem Fingerschnippen ein Buch aus seinem Studierzimmer im nordöstlichen Turm herbei und schlug es auf. Es ist wohl gescheiter, keinen meiner Brüder damit zu beauftragen, auf diese Frau aufzupassen. Sie könnten eine verhängnisvolle Dummheit begehen … sich in sie verlieben zum Beispiel …
Da er sich der Last der Prophezeiung, die er zu tragen hatte, stets bewusst war – tatsächlich war er der Einzige, über dem ein explizit in Worte gefasster Fluch hing, obwohl die anderen Strophen auch nicht gerade verheißungsvoll klangen -, würde er sich ganz bestimmt nicht zu einer solchen Dummheit hinreißen lassen.
3
E in grässlicher Traum , dachte Kelly verschlafen. Sie mochte die Augen noch nicht aufschlagen und vergrub den Kopf tiefer in ihr flauschiges Federkissen. Ihr Wecker hatte noch nicht geklingelt, und sie hatte ihn doch bestimmt gestellt. Sie vergaß nie, ihren Wecker zu stellen. Ein furchtbarer Traum, voller Feuer und
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