Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
mit dem anderen ruderte, um das Gleichgewicht zu bewahren. »Und wenn ich alle anderen sage, meine ich auch alle!«
Er rannte mit seiner Last weiter, so schnell er konnte, und gelangte schließlich in einen gepflasterten Hof. Das zwischen den Ritzen der Steinplatten wuchernde Unkraut lieferte ihm einen weiteren Beweis dafür, dass er und seine Brüder ihr Heim in entschieden zu vieler Hinsicht vernachlässigt hatten. In der Mitte des weitläufigen Hofes machte er Halt, blickte sich nach allen Seiten um, und als er keine weiteren unerwünschten Eindringlinge entdecken konnte, blieb er schwer atmend stehen. Kelly Doyle krallte sich noch immer an ihm fest.
»Entweder hasst du Spinnen noch mehr als ich, oder das war irgendetwas, worüber ich lieber nicht näher nachdenken sollte«, murmelte sie.
»Es war keine Spinne.« Saber hörte die sich rasch nähernden Schritte seiner Brüder, und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er Kelly auf eine ziemlich intime Weise an sich gedrückt hielt. Bei dem Gedanken reagierte sein Körper sofort, und er rief sich ärgerlich ins Gedächtnis, dass er gut daran tat, den engen Kontakt sofort abzubrechen, ehe er Gefahr lief, ein ernsthaftes Interesse an ihr zu entwickeln. »Du kannst mich jetzt loslassen«, fuhr er sie barscher als beabsichtigt an.
Kelly löste sich von ihm und zog ihr Schlafanzugoberteil herunter, weil das Loch unterhalb ihrer rechten Brust in die Höhe zu rutschen drohte. Um ihre Verlegenheit zu überspielen ging sie in die Offensive. »Du bist doch derjenige, der mich einfach gepackt hat und losgerannt ist!«
»Sei still«, befahl er, dabei wartete er ungeduldig darauf, dass sich seine Brüder endlich einfanden.
Sie kamen alle, Morganen und sechs weitere, die Kelly noch nicht kennengelernt hatte. Nicht offiziell jedenfalls.
Aber sie hatte den Eindruck, als hätte sie einige von ihnen schon in den unzusammenhängenden Bildern gesehen, die sie zunächst für einen Albtraum gehalten hatte, obgleich sie in Wahrheit wohl ein Teil ihrer mysteriösen Rettung vor dem Feuertod gewesen waren. Der Mann an ihrer Seite wartete geduldig, bis sie sich alle in der Mitte des Hofes versammelt hatten und sie beide im einsetzenden Zwielicht neugierig musterten. Als seine Brüder in Hörweite waren, ergriff Saber das Wort.
»Wir haben es schon wieder mit einer Makkadadak-Plage zu tun, diesmal oben in der Kammer über der Halle«, teilte er ihnen knapp mit. »Die Götter mögen wissen, wo die Biester sonst noch stecken. Wir müssen eine gründliche Säuberung vornehmen.«
4
E inige der Männer fluchten oder machten Anstalten dazu, die anderen warfen der Frau in ihrer Mitte verstohlene Blicke zu und versetzten ihren Brüdern Rippenstöße, um sie zum Schweigen zu bringen. Obwohl es sich laut Saber um vier Zwillingspaare handelte, sahen sie sich nicht auffallend ähnlich. In dem allmählich schwindenden Licht konnte Kelly erkennen, dass ihre Gesichtszüge einander glichen, aber jeder Zwilling eine andere Haar- und Augenfarbe hatte.
Wenigstens geben sie sich Mühe, sich in meiner Gegenwart höflich und respektvoll zu verhalten, dachte sie und wunderte sich gleichzeitig, was eine Makka-was-auch-immer-Plage sein mochte und wie schlimm sie werden konnte. Und natürlich war ich die Glückliche, die das Nest entdecken durfte.
»Morg, hast du ein Stück Kreide bei dir?«, fragte Saber einen seiner Brüder.
»Aye«, bestätigte derjenige, den sie wiedererkannt hatte, obwohl er sein langes hellbraunes Haar jetzt nicht mehr zu einem Knoten geschlungen, sondern offen trug und das Stirnband verschwunden war. Er suchte in einem der Beutel herum, die an seinem Gürtel hingen, förderte einen kleinen weißen Stein zutage und warf ihn seinem Bruder zu. Saber kauerte sich auf dem Boden nieder und zeichnete auf eine große unbeschädigte Steinfliese einen nahezu perfekten Kreis, der bis zu dem Unkraut in den Ritzen reichte. Dann richtete er sich auf, packte Kelly und stellte sie in die Mitte des Kreises, ehe sie wusste, wie ihr geschah.
»Du bleibst hier und rührst dich nicht von der Stelle, bis
ich es dir erlaube. Su-ha makodideh «, fügte er hinzu, als er die Hände zurückzog, einen kreideverschmierten Finger hob und auf sie richtete. »Hast du verstanden? Rühr dich nicht!«
»Was hast du gerade gemacht?«, erkundigte sich Kelly argwöhnisch, froh, dass es ein warmer Abend war. Sie zog ihr Oberteil noch weiter hinunter, dann verschränkte sie die Arme vor ihren Brüsten, um sie zu
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