Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
sich im Bad aufhielt, stellte er das mitgebrachte Tablett neben das erste, das er dann hochhob, um es in die Küche zurückzubringen. Und sofort wieder abstellte, um einen Blick unter die Abdeckhaube zu werfen, denn es wog fast genauso schwer wie das, das er soeben heraufgebracht hatte.
Sein Verdacht bestätigte sich. Sie hatte kaum die Hälfte ihres Abendessens verspeist. Verdrossen darüber, dass diese Närrin nicht ordentlich auf sich achtete und sich aus irgendwelchen nicht nachvollziehbaren Gründen fast zu Tode hungerte, stapfte Saber zum Bad hinüber, zögerte und klopfte dann leicht an die Tür. Niemand antwortete ihm, nur die Tür schwang leise auf.
Saber steckte den Kopf in die winzige Kammer. Sie war leer. Und sauber … am Rest der verlassenen Burgräume gemessen überraschend sauber, aber leer. Wenn die Frau weder im Schlafraum noch auf dem Abtritt war – und sich seit gestern Abend weisungsgemäß nicht mehr von der Stelle gerührt hatte – dann musste ihr etwas zugestoßen sein.
Oder sie hatte sich seiner Anordnung, in ihrer Unterkunft zu bleiben, widersetzt und war losgegangen, um die Burg auf eigene Faust zu erkunden. Diese kleine, zierliche
Frau besaß einen unbezwingbaren Willen. Scheinbar war das Temperament von Rotschöpfen in ihrer Welt dem derer in Katan sehr ähnlich.
Als er sich zur Tür umdrehte, um sich auf die Suche nach ihr zu begeben, entdeckte Saber sie. Sie lag, vom Bett fast verborgen, auf dem Boden, der zum Teil vom Schmutz jahrelanger Vernachlässigung befreit worden war. Neben ihr stand ein mit schwärzlich braunem Wasser gefüllter Eimer, in dem ein Putzlumpen und eine Scheuerbürste schwammen.
Saber lehnte sich gegen den Türrahmen und inspizierte den Abtritt genauer. Er war vom Boden bis zur Decke blitzblank geschrubbt. Die fadenscheinigen alten Samtvorhänge und die leinenen Handtücher sahen aus, als wären sie eingeweicht, ausgewaschen und dann zum Trocknen aufgehängt worden. Keine Spinnwebe, kein Staubkorn war mehr zu sehen. Wasser ergoss sich plätschernd in das makellos saubere Becken, in dem nur der Korkstopfen fehlte. Sogar die Fensterscheiben waren poliert worden, bis das Glas im Morgenlicht glänzte.
Wände, Tür, der Toilettensitz, sogar die Decke – alles blitzte vor Sauberkeit. Und in Anbetracht der Schmutzschichten, die zuvor alles bedeckt hatten, musste es sie große Mühe gekostet haben, den Raum ohne magische Hilfe so auf Hochglanz zu bringen – und das, obwohl sie nur die Hälfte ihrer Mahlzeit verzehrt hatte und ohnehin schon halb verhungert wirkte.
Aufgebracht – ernsthaft wütend, obgleich er es vorzog, über den Grund dafür nicht eingehender nachzudenken – stapfte Saber zu der schlafenden Frau hinüber und beugte sich über sie, fest entschlossen, sie wachzurütteln und ihr eine donnernde Strafpredigt zu halten, um ihr solche Dummheiten ein für alle Mal auszutreiben. Doch zwei Dinge hielten ihn davon ab.
Zum einen fielen ihm nun die Prellungen auf, über die
sie geklagt hatte; dunkle Flecken auf ihrer sommersprossigen Haut, die durch die zahlreichen Löcher in ihrer Kleidung deutlich zu sehen waren und sich sogar schattenhaft unter dem dünnen, fadenscheinigen Stoff abzeichneten. Viele Flecke und Blutergüsse, für die er vermutlich verantwortlich war oder die er verschlimmert hatte, indem er sie sich am Abend zuvor so achtlos wie einen Sack Abfall über die Schulter geworfen hatte.
Und dann rührte es ihn wider Willen, wie friedlich sie auf dem Stück sauber geschrubbten, im hellen Tageslicht glänzenden harten Boden schlief. Dunkle Schatten unter ihren geschlossenen Augen zeugten von ihrer abgrundtiefen Erschöpfung.
Behutsam, um sie nicht zu wecken, hob Saber Kelly auf und legte sie auf das Bett. Dabei zwang er sich, den Blick von der wohlgerundeten Unterseite ihrer Brust abzuwenden, die das in die Höhe gerutschte Brandloch in ihrem Tunika-Hemd freigab. Er deckte sie zu und durchforstete dann angestrengt sein Gedächtnis. Ließen sich hier irgendwo in der Burg Frauenkleider auftreiben?
Vielleicht in einem der Studierzimmer? Oder in einer Schlafkammer, die wir nicht eingehender inspiziert haben, als es zur Monstervertreibung notwendig war … Er ließ die Frau schlafen, vergewisserte sich, dass die Speisen auf beiden Tabletts abgedeckt waren, klopfte zweimal gegen jede Lichtkugel, um sie mit neuer Energie zu laden, und begab sich dann auf die Suche nach angemesseneren Kleidungsstücken für sie als solche, die aussahen, als
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