Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
unmissverständliche Forderung, sofort heruntergelassen zu werden.
»Wenn du nicht auf dem Stuhl sitzen willst, dann wirst du dich ins Bett legen.« Er ließ sie auf die Matratze sinken. Sie rollte sich auf der anderen Seite hinunter.
»Bleib gefälligst liegen!«
Kelly tappte mit nackten Füßen über den sauberen Teil des Fußbodens und sah ihn mit blitzenden Augen über das
Bett hinweg an. »Hör auf, mir Vorschriften zu machen! Und hör auf, mich anzuschreien!«
»Entweder gehst du jetzt freiwillig in dieses Bett zurück und bleibst darin liegen, oder ich fessele dich mit einem Zauberspruch daran!«
Ihre Augen verengten sich zu schmalen, eisblaue Funken sprühenden Schlitzen, auf ihren blassen sommersprossigen Wangen loderten rote Zornesflecken. Sie sprang mit einem Satz auf das Bett; für sie die einzige Möglichkeit, ihn zu überragen. »Wag das ja nicht!«
»Stell meine Geduld nicht länger auf die Probe«, warnte er. Es begann wie ein Grollen und endete in ohrenbetäubendem Gebrüll. »Leg dich sofort wieder hin!«
»Zwischen diesem Raum und der großen Halle sollte eigentlich genug Abstand liegen, um sämtliche Geräusche zu verschlucken«, warf eine dritte Stimme trocken ein und veranlasste sowohl Saber als auch Kelly, zur Tür herumzuwirbeln. Der blonde, braunäugige Bruder lehnte im Türrahmen und musterte die beiden Kampfhähne mit milder Belustigung. »Aber ich konnte euch bis in die Spülküche hören. Noch nicht einmal ich setze meine Lungen normalerweise in einer solchen Lautstärke ein.«
»Er benimmt sich einfach unmöglich!«
»Aber nur, weil sie nicht essen will!«
Ihr Zuhörer hielt sich die Ohren zu. »Na schön. Da ihr offensichtlich außer Stande seid, vernünftig miteinander zu reden, werde ich mich als Vermittler betätigen.« Braune Augen bohrten sich in graue. »Also, Saber, wo liegt das Problem – aber leise, wenn ich bitten darf.«
»Schau sie dir doch an, Evanor!« Saber stieß einen Finger in Kellys Richtung, den sie mit einem erbosten Zischen wegschlug. »Sie besteht nur aus Haut und Knochen und isst weniger als eine Biene, arbeitet aber achtmal so schwer wie eine. Sie hat versucht, diesen Raum zu putzen, und das mit weniger als einer Mahlzeit im Magen.«
Mit hochgezogenen Brauen ließ der Neuankömmling den Blick durch den teilweise gesäuberten Raum schweifen. Die Spinnweben waren entfernt, der Boden größtenteils blank geschrubbt und der Staub aus den Vorhängen geklopft worden, so gut es ging.
»Für jemanden, der sich nicht mit Magie behelfen kann, ist es tatsächlich harte Arbeit, aber nicht so anstrengend, dass man gleich davon umfällt. Und Frauen sind oft längst nicht so zart und zerbrechlich, wie sie aussehen. Viele müssen ihr Haus ohne Hilfe magischer Kräfte in Ordnung halten … obgleich ich zugeben muss, dass wir uns selbst auf diesem Gebiet kaum vorbildhaft betätigen. Nun …« Er warf seinem Bruder einen Blick zu, der diesen unmissverständlich davor warnte, den Mund aufzumachen. »Sagt mir, Lady – wie lautet Euer Name?«
»Kelly Doyle.«
Er verneigte sich leicht. »Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Lady Kellidoyle, auch wenn die Umstände etwas ungewöhnlich sind. Und nun …«
»Nein, ich heiße einfach nur Kelly. Und dann Doyle. Doyle ist der Name meiner Familie, Kelly mein eigener«, berichtigte sie ihn, und verschränkte dabei wieder die Arme vor ihrer Brust.
»Aha. Nun gut, Lady Kelly, dann verratet mir doch, was Ihr an meinem Bruder so unmöglich findet.«
Kelly erwog, ihn davon in Kenntnis zu setzen, dass ihr der Titel »Lady« nicht zustand, entschied sich dann aber dagegen. Es war angenehm, in dieser seltsamen Welt zur Abwechslung einmal freundlich und höflich behandelt zu werden. »Er verlangt von mir, dass ich auf dem Stuhl da drüben sitze und mehr esse, als ich vertragen kann. Ich habe in den letzten Monaten nicht genug Geld zur Verfügung gehabt, um mich satt essen zu können, und deswegen ist mein Magen geschrumpft. Und dann will er, dass ich mich ins Bett lege und absolut nichts tue. Ich bin aber
nicht der Typ Mensch, der mit Nichtstun die Zeit totschlagen kann!
Bei mir zu Hause …« Ihre Stimme brach, als sie daran dachte, dass von ihrem Zuhause nur ein Haufen Schutt und Asche übrig geblieben war. Sie nahm sich zusammen und fuhr fort: »Zu Hause pflegte ich immer ein Dutzend Projekte auf einmal in Angriff zu nehmen – Spitzenklöppelei, Stickerei- und Näharbeiten, Puppen habe ich auch angefertigt, und
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