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Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)

Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)

Titel: Die Söhne der Insel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Johnson
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diesem Tag suchte Saber sie erneut auf. Diesmal hielt er ein leuchtend aquamarinfarbenes Bündel in den Armen: Meter um Meter feinste weiche, zu einem Ballen aufgewickelte Seide.
    »Für mich?«, fragte sie ungläubig, stand von ihrer Nähnische auf und ging auf den Zuschneidetisch in der Mitte des Raumes zu. Er hielt wie zuvor ein paar Schritte Abstand zu ihr. Seine grauen Augen begegneten ihren tiefblauen.
    Endlich senkte er den Blick und starrte das Stoffbündel in seinen Armen an. Kelly entging nicht, dass ihm das Blut in die Wangen stieg. »Die Farbe passt zu deinen Augen.«
    Er hielt ihr den Seidenballen hin. Doch da Kelly das Gefühl beschlich, dass er sich sofort wieder zurückziehen würde, sobald sie danach griff, wich sie ein Stück zurück, ohne die Hände nach seinem neuesten Geschenk auszustrecken.
    Saber hob den dunkelblonden Kopf und forschte in ihrem Gesicht. Sie wandte sich ab und fuhr mit dem Finger über die Tischplatte, während sie verzweifelt nach den richtigen Worten suchte. Da dieser vermaledeite Fluch über ihnen hing, wusste sie nicht, wie sie ihm und sich über die Verlegenheit des Augenblicks hinweghelfen sollte – es sei denn, sie würde sich mit einem Schlag in eine übermächtige Zauberin verwandeln, die das einem Menschen vorherbestimmte Schicksal mühelos in andere Bahnen lenken konnte. Aber da dies bislang nicht geschehen war, war die Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß. Und eine Doyle tritt Schwierigkeiten entgegen und versucht sie zu überwinden! »Es ist wirklich sehr nett von dir, mir all diese …«
    In diesem Moment hallte Evanors Stimme eindringlich in ihren Ohren wider und schnitt ihr das Wort ab, obwohl sich der Sprecher gar nicht in ihrer Nähe befand. » Greifangriff! Drei Greife von Westen! Koranen, Dominor, Morganen, sofort auf die Dächer! «
    »Greife?«, wiederholte Kelly verwirrt, dann weiteten sich ihre Augen vor Schreck, als ein Schatten an den im dritten Stock gelegenen Fenstern der Nähkammer vorbeiflog. Er sah aus wie ein … »Bist du sicher, dass das keine Drachen sind?«
    Saber ließ den Ballen kostbarer Seide auf den Tisch fallen und befahl mit einem Fingerschnippen sein bestes Schwert herbei, während er erklärte: »In Katan gibt es keine Drachen. Greife dagegen schon.«
    »Willst du den anderen denn nicht zu Hilfe kommen?«, fragte Kelly, die noch immer neben dem Tisch in der Mitte
des Raumes stand, als er sich zwischen ihr und dem Fenster aufbaute.
    »Wenn ich da oben gebraucht würde, hätte Evanor mich ausdrücklich gerufen«, gab er über seine Schulter hinweg zurück. Einen solchen Angriff hatten er und seine Brüder schon zweimal abgewehrt und sich für den Fall, dass ein dritter erfolgen sollte, einen Plan zurechtgelegt. Wie es aussah, war dieser Fall jetzt eingetreten.
    Der Anblick seiner breiten Schultern zwischen dem regennassen Fenster und ihrer Person verlieh ihr tatsächlich ein Gefühl von Sicherheit, aber es war nicht Kellys Art, sich hinter dem Rücken anderer zu verstecken. Eine Doyle zeigte im Angesicht des Feindes keine Feigheit. Also hielt sie nach einer Waffe Ausschau.
    Die Schere auf ihrem Nähtisch konnte angehen, aber viel würde sie damit nicht ausrichten können. Sie ging zu dem Kamin hinüber, in dem wegen des trotz Regen warmen Wetters kein Feuer brannte, und griff nach einer der langen Holzlatten, die Dominor für sie aufgetrieben hatte und aus denen sie sich einen kleinen Garnwebstuhl hatte anfertigen wollen, um Borten darauf zu weben. Sie wählte eine Latte aus, die so breit wie ihre Hand, mehrere Zentimeter dick und so lang wie ihr Bein war, und wog sie prüfend in der Hand.
    »Was tust du denn da?« Saber musterte sie stirnrunzelnd.
    »Ach, du kennst mich doch. Halsstarrig und fest entschlossen, mich niemals vor etwas Unangenehmem zu drücken«, spöttelte sie. Und zuckte zurück, als eine der unheimlichen Kreaturen – gräulich und wie eine drachenköpfige, schlangenschwänzige, überdimensionale Fledermaus geformt – vor den Fenstern direkt vor ihnen auftauchte und flügelschlagend dort schweben blieb.
    Sie hielt ihre Holzlatte in die Höhe; bereit, damit auf dieses Wesen einzudreschen, sollte es durch die Scheibe
brechen. Einen Moment später flammte ein Feuerball hinter der Scheibe auf, doch da der Verursacher – vermutlich Koranen – ihn direkt vor dem Kopf des Geschöpfes hatte entzünden müssen, um es zu verscheuchen, zuckte Kelly erneut zusammen, wandte sich von den sie blendenden grellen Flammen ab …

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