Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
beschäftigt hatte, ahnte sie, dass sie ein kleines Vermögen in den Händen hielt. »Oh, Saber …«
»Gefallen sie dir nicht?«, fragte er hörbar enttäuscht, als ihre Stimme zu zittern begann.
»Ich bin so überwältigt, dass ich gar nicht weiß, was ich sagen soll.« Behutsam strich sie über die aufgerollten Bänder und untersuchte sie eingehend. Sie kam sich vor, als hätte man sie mit einem vierstelligen Geschenkgutschein in der Kurzwarenabteilung eines exklusiven Kaufhauses ausgesetzt – der Traum einer jeden begeisterten Hobbyschneiderin! Manche Bänder waren schmaler als ihr kleiner Finger, zwei davon halb so breit wie ihre Handfläche, die anderen rangierten irgendwo dazwischen. Es waren genug vorhanden, um einige Kleider damit zu besetzen und vielleicht auch Säume und Ausschnitte einzufassen. »Wo …wo hast du das alles her?«
»Ich habe es vor ein paar Tagen den Händlern abgekauft …« Er brach ab, und sie blickte verwundert zu ihm auf. Er hatte den Kopf abgewandt, seine Kiefermuskeln zuckten. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich abrupt um und steuerte auf die Tür zu.
»Saber!«, rief sie ihm nach, woraufhin er seine Schritte verlangsamte. »Danke«, sprudelte sie hastig hervor. »Für die Bänder und die Blumen. Beide Geschenke sind wunderschön.«
Er nickte nur knapp, dann war er zur Tür hinaus. Einer seiner Brüder rief ihm vom Gang her, wo Kelly ihn nicht sehen konnte, etwas zu.
»Oho – seht mal, wer da seine beste Tuni … äh … ja … schon gut …«
Einen Moment später, als Kelly sich noch genüsslich ausmalte, wie sie die unsichtbare Spottdrossel mit Blicken erdolchte, betraten Koranen und Evanor, an denen der Wutausbruch ihres ältesten Bruders scheinbar wirkungslos abgeprallt war, das Nähzimmer.
»Und ich habe mir eingebildet, nur meine Augen könnten Feuer sprühen.« Koranen schielte zu der einzigen Frau auf der Insel hinüber, hob die Brauen und tat das kleine Drama dann mit einem Grinsen ab. Sein älterer Bruder beäugte die Blumen in der Vase anerkennend. Koranen pfiff durch die Zähne. »Sieh an. Wie es scheint, hat ein gewisser Jemand endlich doch noch geruht, Notiz von Euch zu nehmen.«
Aus irgendeinem Grund verspürte Kelly den Drang, Saber in Schutz zu nehmen. Sie klappte das Kästchen, das sie noch immer in der Hand hielt, zu und stellte es auf den Tisch. »Was führt euch denn hierher?«
»Die Vorratskammern im Keller, Mylady«, erinnerte Evanor sie. »Ihr habt darauf bestanden, dass die gesamte Burg gründlich gesäubert wird, und die stehen als Nächstes auf unserer Liste. Also nehmt Eure Flickarbeit für heute und setzt Euch dort hin und näht, während wir uns ans Werk machen.«
»Wenn ich mich nicht bald wieder körperlich betätige, muss ich alle meine neuen Kleider auslassen, bis nicht mehr genug Stoff übrig ist«, gab Kelly zurück. »Dann werde ich nämlich so dick wie eine Kuh.«
Koranen zuckte die Achseln, dabei ließ er den Blick über ihre sich rundenden Kurven gleiten. »Ich finde, mit etwas mehr Fleisch auf den Rippen würdet Ihr noch besser aussehen als jetzt.«
Evanor versetzte ihm einen leichten Stoß. »Sei vorsichtig, Kor. Ihre Rundungen sind für dich tabu.«
»Ansehen ist erlaubt«, versetzte Kelly fröhlich. »Nur Anfassen nicht. Wir sind zwar nicht verheiratet, aber wir sind auch noch nicht tot.«
»Meine Hände sind gebunden«, schwor der Bruder mit dem kastanienfarbenen Haar, legte die Handgelenke gegeneinander und presste sie kurz gegen seine Brust, ehe er sie wieder sinken ließ. »Darf ich jetzt Euren Stuhl tragen?«
»Und ich den Tisch. Nehmt Ihr Euer Nähzeug«, drängte Evanor.
Mit einem so dramatischen Seufzer, als nähme ihre Arbeit nie ein Ende – obwohl sie den Kleiderberg bereits ein gutes Stück abgetragen hatte -, stand Kelly auf, um ihren Korb zu holen, dabei schüttelte sie lächelnd den Kopf. Trotz aller Magie fehlte es in diesem Reich an vielen Annehmlichkeiten, die sie ihr ganzes Leben lang als selbstverständlich betrachtet hatte. Aber sie genoss die Zeit auf Nightfall mehr, als sie das letzte Jahr in ihrer eigenen Welt genossen hatte, so viel stand fest.
Und heute befand sie sich nach Sabers kurzem Besuch in besonders guter Laune.
10
Z wei Wochen wurden zu dreien, und das Großreinemachen ging zu Ende, sodass Kelly viel Zeit blieb, neben dem Ausbessern und Umändern alter Kleider auch neue zu schneidern. Saber überreichte ihr das silberne Bürstenset, das er gekauft hatte, mit ein paar
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