Die Söhne der Insel: Roman (German Edition)
nicht zu stören.
Sie griff nach der versilberten Bürste, die er ihr geschenkt hatte, und zog die steifen Tierborsten durch ihre rotblonde Mähne. Dann hielt sie den silbernen Kamm kurz unter Wasser und kämmte ihr Haar damit aus dem Gesicht zurück, um ihre hohen Wangenknochen zu betonen.
Stirnrunzelnd betrachtete sie sich im Spiegel. Mit ihrer schön gewölbten Stirn und der leicht nach oben gebogenen Nase, die ihr ein selbstbewusstes, entschlossenes Aussehen verlieh, war sie zufrieden. Auch ihr Kinn und ihre vollen, von Natur aus rosig schimmernden Lippen gefielen ihr. Ihre Wimpern waren zwar nicht so dicht wie die von Saber, aber schließlich hatten viele Männer Wimpern, um die sie von Frauen beneidetet wurden.
Ihre Brauen hatten noch nie gezupft werden müssen, und sie vermisste auch die kosmetischen Hilfsmittel ihrer alten Welt nicht, aber sie wünschte, Saber hätte wenigstens einmal gesagt, dass er sie attraktiv fand. Natürlich hatte er sie oft so fasziniert angestarrt, als wäre dies der Fall, aber ausdrücklich gesagt hatte er es noch nie.
Vermutlich muss ich es ihm irgendwie mit sanfter Gewalt entlocken dachte sie seufzend, dann musterte sie ihr
Spiegelbild erneut und lächelte angesichts der Vorstellung, ihr Leben künftig mit einem Mann zu teilen, der über einen ebenso starken Willen verfügte wie sie … die nächsten … wie viele? … Jahre mit ihm zu verbringen, bis … O Gott, ich glaube, ich stehe kurz vor einem bräutlichen Nervenzusammenbruch!
Sie zwang sich, tief durchzuatmen, um die Panik niederzukämpfen, die plötzlich von ihr Besitz ergriff, hielt sich an dem steinernen Sims über dem Waschbecken fest und starrte in ihre eigenen blauen Augen. Das Licht ringsum wurde langsam schwächer, während sie sich ausmalte, wie es wohl sein mochte, den Rest ihres Lebens in diesem Reich zu verbringen. Nie wieder eine Fernsehshow sehen oder Radio hören zu können. Nie wieder in einem Flugzeug fliegen, nie wieder ein Eis essen …
Mach dich nicht lächerlich , schalt sie sich stumm. Du brauchst Evanor nur zu beschreiben, was Speiseeis ist, und er wird es aus Zucker, Sahne, Eiern und Gott weiß was noch zusammensingen. Und was das Fliegen angeht … wenn diese Burschen pferdelose, von Magie angetriebene Kutschen entwickelt haben, dann können sie auch lernen, flugfähige Versionen davon herzustellen. Oder du kannst in die Rolle einer nicht existenten Wright-Schwester schlüpfen und mit selbst gebauten Flugdrachen herumexperimentieren … immer vorausgesetzt, dass Saber nicht einen seiner Beschützeranfälle erleidet, dich anschreit und dich in deine Kammer einschließt, um zu verhindern, dass du dich in eine solche Gefahr begibst. Obwohl du gut daran tätest, dich seiner Magie zu bedienen, falls du wirklich so ein Ding bauen willst , fügte sie in Gedanken hinzu.
Trotz aller Bedenken empfand sie das Wissen, nicht mehr ganz allein auf sich gestellt zu sein und alleine für sich sorgen zu müssen, als ungemein beruhigend.
Aber hier zu leben – nicht nur ein paar Jahre lang, sondern
Jahrzehnte, bis ich hier sterbe; zu wissen, dass dieser Ort von nun an meine Heimat ist, für den Rest meines Lebens ...
Wieder unterdrückte sie die aufkeimende Panik energisch. Kelly konnte sich durchaus vorstellen, mit Saber als ihrem Mann und seinen Brüdern als Schwagern auf Nightfall zu leben … aber nicht in permanentem Exil.
Sie brauchte die Gesellschaft anderer Frauen. Sie musste mit anderen Menschen als den acht Brüdern reden können, so unterhaltsam diese auch waren. Sie wollte Einkaufsbummel unternehmen, selbst wenn ihr dazu nur ein mittelalterlicher Markt zur Verfügung stand. Sie wollte ihre eigenen Nähutensilien und Stoffe auswählen sowie ein paar andere Nahrungsmittel erstehen als die, welche die Brüder eintauschten oder selbst anbauten. Und sie wollte von ihr hergestellte Dinge verkaufen, so wie die Brüder es taten, und mit dem Erlös zum Haushalt beitragen.
Aber das würde natürlich warten müssen, bis das sogenannte Unheil über sie hereingebrochen war. Sowie sie es – was auch immer es sein mochte – überstanden hatten, sollte Schluss mit den Vorurteilen gegenüber auf der Insel lebenden Frauen sein. Das hoffte sie zumindest.
Und dann stellte sich noch die Frage etwaiger Kinder. Kelly wollte unbedingt eine ausgebildete, erfahrene Hebamme um sich haben, wenn es so weit war – was sicherlich irgendwann in naher Zukunft der Fall sein würde. Stand ihr eine solche Hilfe nicht zur
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